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Bürgerräte als Ergänzung zu Parlamenten?
Aus Echo der Zeit vom 12.06.2022. Bild: Ernährungszukunft Schweiz
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Erstes Treffen in Olten Wenn Bürgerinnen und Bürger bei der Ernährungspolitik mitreden

Der Schweizer Bürgerinnen- und Bürgerrat für Ernährungspolitik hat in Olten in einer ersten Sitzung seine Arbeit aufgenommen. Er sucht nach einem nachhaltigen Ernährungssystem für die Schweiz.

Wie weiter mit der Ernährungspolitik? Bei diesem Thema können nun 100 Schweizerinnen und Schweizer mitreden. Es sind keine Polit-Profis, sondern sie wurden per Los ausgewählt – zur Mitwirkung im Bürgerinnen- und Bürgerrat. Diese demokratische Spielart ist für unsere direkte Demokratie neu und wird vom Bund mitfinanziert.

Menschen sitzen rund um einen runden Tisch
Legende: Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutieren beim ersten Treffen des Bürgerinnen- und Bürgerrats für Ernährungspolitik in Olten. Keystone
  • Angela Meier ist Heilpädagogin: «Ich bin selber Mutter und finde, Ernährung ist ein Thema, das uns alle angeht», sagt die 42-Jährige.  
  • Der pensionierte Betriebswirtschafter Philippe Gacond macht sich Sorgen um die Welt: «Ich nehme teil, weil ich jede Gelegenheit beim Schopf packe, etwas zu verändern. Die Lage der Welt ist ernst.»
  • Die 33-jährige Bäuerin Martina Stettler will derweil die Sicht der Bäuerinnen und Bauern einbringen: «Das Vorurteil, Bäuerinnen und Bauern seien schuld, bedrückt mich.»  
  • Die 24-jährige Janina Inauen hat gerade ihre Bachelor-Arbeit geschrieben. Sie sagt: «Ich würde gerne auf einer Erde leben, die noch einigermassen bewohnbar und schön ist.»

Vier Personen, die im Rat verschiedene Sichtweisen auf das Thema Ernährungspolitik einbringen sollen. In den nächsten sechs Monaten vertiefen sie ihr Wissen: Landwirtschafts-Produktion, ökologische Systeme, Nahrungsmittelverarbeitung und Konsumentenschutz. Sie hören sich Expertinnen und Experten an, besuchen Betriebe. Am Schluss dürfen sie einen Massnahmenkatalog verabschieden, der an die Politik geht.  

Ein Novum – aber nur für die Schweiz

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Bürgerinnen- und Bürgerräte gibt es bereits in vielen Ländern, die Schweiz ist laut Politikwissenschaftler Daniel Kübler eher eine Nachzüglerin. Entstanden sei die Idee in Entwicklungsländern, wo die ärmere Bevölkerung zu wenig Einfluss auf die Politik habe. In Brasilien entstanden so Projekte für partizipative Budget-Entscheidungsprozesse, damit Ärmere ihre Sicht auf die staatliche Geldverteilung einbringen konnten.

So können solche Räte ein Bindeglied sein zwischen den etablierten und legitimierten Institutionen wie Parlament und Regierung und eben der Bevölkerung.

Doch gibt es dafür eigentlich nicht Parlamente und gewählte Politikerinnen und Politiker? Der Projektleiter des Rates, Daniel Langmeier, sagt, die Meinung der ganz normalen Bevölkerung komme im politischen Prozess zu wenig zur Geltung: «Diese Stimmen kommen vor allem nicht vertieft zum Ausdruck, meistens nur über Ja oder Nein – oder dann über eine Interessensvertretung.» Mit dem Rat könnten sie nun der Politik ein Mittel zur Hand geben, um bessere Entscheidungen zu treffen. 

NGOs provozieren Kritik

Hinter dem Projekt stehen drei nicht-staatliche Organisationen. Biovision, der Verein Landwirtschaft mit Zukunft und das Netzwerk für Nachhaltigkeitslösungen. Alles Organisationen, die das Ziel einer grüneren, nachhaltigeren Landwirtschaft verfolgen.  

Heftige Kritik im Vorfeld

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Im Vorfeld gab es heftige Kritik am Projekt Bürger- und Bürgerinnen-Rat zur Ernährungspolitik. So hat sich Bauernpräsident und Mitte-Nationalrat Markus Ritter in der Aargauer Zeitung zitieren lassen, dieses Vorgehen sei völlig unverständlich, suspekt und illegitim. SVP-Nationalrat und Bauer Marcel Dettling kritisierte am Montag in der Fragestunde den Bund, der dieses Projekt subventioniere: «Es gibt in der Schweiz keine Schattenparlamente – nun machen sie genau das Gegenteil und finanzieren mit 400'000 Franken, öffentlichen Geldern, solche Bürgerräte. Das ist politisch nicht korrekt.»

Landwirtschaftsminister Guy Parmelin erwiderte, der Rat für die Ernährungspolitik sei kein permanenter Rat und bekomme auch keine Entscheidungsbefugnisse. Hingegen erfülle die Schweiz damit eine Empfehlung der OECD für mehr Bürger-Beteiligung.

Daniel Langmeier sagt, die Organisationen würden keinen Einfluss auf die inhaltlichen Debatten im Rat nehmen. Die Teilnehmer seien von einem unabhängigen Marktforschungsinstitut per Los ausgewählt worden.   

Dass sich gerade Bauernpolitiker herausgefordert fühlen, überrasche ihn nicht, sagt Daniel Kübler, Politikwissenschaftler am Zentrum Demokratie Aarau und an der Uni Zürich: «Landwirtschaftspolitik wird extrem stark von Verbandsinteressen geprägt. Ein solcher Rat ist vermutlich ein Stich in ein Wespennest.» 

Eine Ergänzung, keine Bedrohung für Parlamente

Die Räte könnten durchaus bestehende Entscheidungswege aufbrechen, gerade wenn starke Lobbys Einfluss darauf hätten wie in der Schweiz, sagt Kübler. Hingegen hätten Bürgerräte keine Befugnisse, politische Entscheide zu treffen, darum sei die Legitimität eines Parlamentes nicht bedroht.

Für die Teilnehmenden am Rat ist klar, politisch entscheiden können sie nichts. Aber sie hoffen, dass ihnen dann die Politik zuhört. Und zwar Anfang November, wenn sie den Massnahmenkatalog präsentieren.

SRF 4 News, 12.06.2022, 16 Uhr

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