In Bern demonstrierten am Samstag rund 5000 Menschen gegen die israelische Kriegsführung im Gazastreifen. Dabei kam es zu massiven Ausschreitungen. Bilanz: 57 Gebäude beschädigt, Sachschaden in Millionenhöhe, 18 verletzte Polizistinnen und Polizisten.
Manche Demonstrierenden skandierten auch judenfeindliche Parolen. Wie die Demonstration bei Jonathan Kreutner, dem Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, der wichtigsten Stimme von Jüdinnen und Juden in der Schweiz, ankam, erzählt er im Interview.
Herr Kreutner, wie haben Sie die Demonstration in Bern empfunden?
Jonathan Kreutner: Man sieht in den Medien eine gewaltbereite Demonstration. Dort, wo man eigentlich für Frieden demonstrieren müsste, da es endlich zu einer friedlichen Lösung im Nahen Osten kommen kann, wird zu Gewalt aufgerufen, Gewalt ausgeübt. Das ist bedenklich.
Von lokalen jüdischen Menschen in Bern wissen wir, dass sie sich eingeschüchtert und nicht sicher gefühlt haben.
Haben Sie an der Demonstration Slogans ausgemacht, die antisemitisch waren?
Uns sind bis jetzt verschiedene gewaltverherrlichende Aufrufe gemeldet worden; unter anderem ein Slogan, der lautete: ‹Tötet die lokalen Zionisten›, was als Gewaltaufruf gegenüber jüdischen Menschen verstanden werden kann. Von lokalen jüdischen Menschen in Bern wissen wir, dass sie sich eingeschüchtert und nicht sicher gefühlt haben. Es war Samstag. Viele jüdische Menschen gehen an diesem Tag in die Synagoge. Dort haben sie sich besonders unsicher gefühlt. Immerhin hat die Polizei es verhindert, dass diese Demonstration – anders als solche in der Vergangenheit – überhaupt in die Nähe der Synagoge kommen konnte.
Diese Demonstration hat es nicht in die Nähe der Synagoge geschafft. Das ist eine gute Nachricht.
Die Behörden haben die Demonstration laufen lassen, obwohl sie unbewilligt war. Sind Sie enttäuscht von den Behörden, dass sie die Demonstration nicht verhindert oder gestoppt haben?
Grundsätzlich wichtig ist: Wir haben Meinungs- und Versammlungsfreiheit in der Schweiz. Diese geht sehr weit. Letztlich muss man sagen: Die Polizei hat einen guten Job gemacht. Sie hat dort, wo sie konnte, interveniert. Es kam natürlich zu sehr viel Gewalt. Aus unserer Sicht aber hat es diese Demonstration nicht in die Nähe der Synagoge geschafft. Das ist eine gute Nachricht. Wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn sich diese Demonstration in die Nähe der Berner Synagoge hätte bewegen können.
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Bild 1 von 10. Manche Kundgebungsteilnehmende zerstörten Schaufensterscheiben in der Berner Innenstadt. Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 10. Mindestens 57 Gebäude seien beschädigt worden, gab die Kantonspolizei an einer Medienkonferenz am Sonntag bekannt. Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 10. Rund um den Bundeshausplatz ist die Situation am Samstag eskaliert. Gewaltbereitende Demonstrierende schlugen dabei auch Fensterscheiben ein. Bildquelle: SRF.
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Bild 4 von 10. Mehrere Häuserwände wurden mit Parolen besprayt. Bildquelle: KEYSTONE/Peter Klaunzer.
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Bild 5 von 10. Zwischen Bundesplatz und Bahnhof wurden mehrere Geschäfte beschädigt. Bildquelle: KEYSTONE/Peter Klaunzer.
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Bild 6 von 10. Nachdem ein Teil des Demonstrationszuges vom Bundeshausplatz weitergezogen war, kam es beim Kaufhaus Loeb nahe des Berner Bahnhofs zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Bildquelle: KEYSTONE/Peter Klaunzer.
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Bild 7 von 10. Auch mehrere Polizeifahrzeuge wurden beschädigt, wie die Kantonspolizei mitteilte. Bildquelle: KEYSTONE/Peter Klaunzer.
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Bild 8 von 10. Die Kantonspolizei präsentierte an einer Medienkonferenz mehrere Gegenstände, die von den Demonstrierenden als Waffen benutzt wurden... Bildquelle: KEYSTONE/Adrian Reusser.
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Bild 9 von 10. ... darunter auch Backsteine. Die Spuren der massiven Gewaltanwendung könne man an den Schutzhelmen der im Einsatz stehenden Polizisten noch sehen. Bildquelle: KEYSTONE/Adrian Reusser.
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Bild 10 von 10. Unter den beschlagnahmten Gegenständen befanden sich auch haufenweise Feuerwerkskörper. Bildquelle: KEYSTONE/Adrian Reusser.
Empfinden Sie diese Demonstration so, wie sie jetzt stattgefunden hat, als antisemitisch?
Diese Demonstration war gewaltvoll und gewaltverherrlichend, nicht nur gegenüber jüdischen Menschen generell, sondern gegenüber allen, die da waren, gegenüber der Stadtbevölkerung. Es könnte an dieser Demonstration auch zu antisemitischen Parolen gekommen sein. Aber es ist wichtig zu differenzieren: Man kann nicht die ganze Demonstration oder alle Menschen, die ihr beiwohnten, pauschalisieren. Fakt ist aber: Das war eine gewaltvolle Demo. Jeder, der da mitgelaufen ist, hat eigentlich akzeptiert, dass es zu Gewalt kommt. Und das ist aus unserer Sicht die viel gravierendere Sache. Ob es auch zu antisemitischen Aussagen oder Slogans gekommen ist, analysieren wir noch.
Das Interview führte Detlev Munz.