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Eskalierte Pro-Palästina-Demo Jonathan Kreutner: «Juden in Bern haben sich unsicher gefühlt»

In Bern demonstrierten am Samstag rund 5000 Menschen gegen die israelische Kriegsführung im Gazastreifen. Dabei kam es zu massiven Ausschreitungen. Bilanz: 57 Gebäude beschädigt, Sachschaden in Millionenhöhe, 18 verletzte Polizistinnen und Polizisten.

Manche Demonstrierenden skandierten auch judenfeindliche Parolen. Wie die Demonstration bei Jonathan Kreutner, dem Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, der wichtigsten Stimme von Jüdinnen und Juden in der Schweiz, ankam, erzählt er im Interview.

Jonathan Kreutner

Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds

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Jonathan Kreutner ist seit 16 Jahren Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG). Die SIG ist der grösste jüdische Dachverband, der 13'000 von rund 18'000 Jüdinnen und Juden in der Schweiz vertritt. Vor diesem Amt leitete Kreutner die GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus. Kreutner ist Historiker, in Zürich geboren und aufgewachsen und ein Nachkomme von Holocaust-Überlebenden.

Herr Kreutner, wie haben Sie die Demonstration in Bern empfunden?

Jonathan Kreutner: Man sieht in den Medien eine gewaltbereite Demonstration. Dort, wo man eigentlich für Frieden demonstrieren müsste, da es endlich zu einer friedlichen Lösung im Nahen Osten kommen kann, wird zu Gewalt aufgerufen, Gewalt ausgeübt. Das ist bedenklich.

Von lokalen jüdischen Menschen in Bern wissen wir, dass sie sich eingeschüchtert und nicht sicher gefühlt haben.

Haben Sie an der Demonstration Slogans ausgemacht, die antisemitisch waren?

Uns sind bis jetzt verschiedene gewaltverherrlichende Aufrufe gemeldet worden; unter anderem ein Slogan, der lautete: ‹Tötet die lokalen Zionisten›, was als Gewaltaufruf gegenüber jüdischen Menschen verstanden werden kann. Von lokalen jüdischen Menschen in Bern wissen wir, dass sie sich eingeschüchtert und nicht sicher gefühlt haben. Es war Samstag. Viele jüdische Menschen gehen an diesem Tag in die Synagoge. Dort haben sie sich besonders unsicher gefühlt. Immerhin hat die Polizei es verhindert, dass diese Demonstration – anders als solche in der Vergangenheit – überhaupt in die Nähe der Synagoge kommen konnte.

Diese Demonstration hat es nicht in die Nähe der Synagoge geschafft. Das ist eine gute Nachricht.

Die Behörden haben die Demonstration laufen lassen, obwohl sie unbewilligt war. Sind Sie enttäuscht von den Behörden, dass sie die Demonstration nicht verhindert oder gestoppt haben?

Grundsätzlich wichtig ist: Wir haben Meinungs- und Versammlungsfreiheit in der Schweiz. Diese geht sehr weit. Letztlich muss man sagen: Die Polizei hat einen guten Job gemacht. Sie hat dort, wo sie konnte, interveniert. Es kam natürlich zu sehr viel Gewalt. Aus unserer Sicht aber hat es diese Demonstration nicht in die Nähe der Synagoge geschafft. Das ist eine gute Nachricht. Wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn sich diese Demonstration in die Nähe der Berner Synagoge hätte bewegen können.

Empfinden Sie diese Demonstration so, wie sie jetzt stattgefunden hat, als antisemitisch?

Diese Demonstration war gewaltvoll und gewaltverherrlichend, nicht nur gegenüber jüdischen Menschen generell, sondern gegenüber allen, die da waren, gegenüber der Stadtbevölkerung. Es könnte an dieser Demonstration auch zu antisemitischen Parolen gekommen sein. Aber es ist wichtig zu differenzieren: Man kann nicht die ganze Demonstration oder alle Menschen, die ihr beiwohnten, pauschalisieren. Fakt ist aber: Das war eine gewaltvolle Demo. Jeder, der da mitgelaufen ist, hat eigentlich akzeptiert, dass es zu Gewalt kommt. Und das ist aus unserer Sicht die viel gravierendere Sache. Ob es auch zu antisemitischen Aussagen oder Slogans gekommen ist, analysieren wir noch.

Das Interview führte Detlev Munz.

Tagesschau vom 11.10.2025, 19:30 Uhr ; 

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