Trotz der steil nach oben zeigenden Infektionskurve der Coronafälle in der Schweiz sieht der Bundesrat derzeit keinen Handlungsbedarf – auch wenn aus einigen Kantonen andere Töne kommen: So fordert etwa der Genfer Gesundheitsdirektor den Bund zum Handeln auf, und auch der Kanton Luzern will ein Machtwort des Bundes.
Lukas Engelberger, der Präsident der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren (GDK), spricht über die Gründe, warum noch keine Entscheide gefallen sind.
SRF News: Muss der Bund jetzt nicht wieder die Führung übernehmen?
Lukas Engelberger: Angesichts der rekordhohen Fallzahlen gibt es in den Kantonen eine zunehmende Besorgnis. Damit stellt sich die Frage nach weiteren Massnahmen. Bund und Kantone müssen also prüfen, ob der aktuelle Massnahmen-Mix noch stimmt. Das ist nicht ganz einfach, da wir noch nicht wissen, wie sich die neue Omikron-Variante des Coronavirus auf die Situation in den Spitälern auswirkt.
Wir wissen noch nicht, wie sich die neue Omikron-Variante auf die Situation in den Spitälern auswirkt.
Sollte man angesichts der sich verschlechternden Situation nicht sowieso etwas tun – damit man auf der sicheren Seite bleibt?
Auch ein zu frühes oder zu starkes Einschreiten verursacht Schäden – und es wird in der Bevölkerung nicht verstanden. Man muss den richtigen Moment mit den richtigen Massnahmen treffen. Und dafür fehlen uns im Moment noch Informationen.
Täuscht der Eindruck, man tue jetzt nichts, weil man noch nicht parat ist?
Das würde ich tatsächlich nicht so sehen. Bund und Kantone können in sehr kurzer Zeit zusätzliche Massnahmen verabschieden. So gelten ab dem Schulstart in der nächsten Woche in zahlreichen Kantonen strengere Regeln.
Falls sich die Situation nicht entspannt, werden wir sehr bald über nationale Einschränkungen sprechen müssen.
Vermutlich werden wir auch über Einschränkungen bei den Grossveranstaltungen reden müssen – das liegt in der Kompetenz der Kantone. Und falls sich die Situation nicht entspannt, werden wir früh im nächsten Jahr über nationale Einschränkungen sprechen müssen.
In manchen Kantonen fehlt die Infrastruktur für die Booster-Impfungen. Warum wurde das System nicht früher hochgefahren, nachdem seit Längerem klar war, dass die dritte Impfung nötig sein wird?
Die Ausgangslage ist für die Kantone sehr unterschiedlich. Trotzdem kann man sagen, dass die Booster-Kampagne gut in Fahrt gekommen ist.
Allerdings: Wenn alles in Ordnung wäre, würde der Genfer Gesundheitsdirektor jetzt nicht Alarm schlagen...
Es kann keineswegs gesagt werden, dass alles in Ordnung ist – das wäre auch eine völlig falsche Vorstellung zum Ende des Pandemiejahres 2021. Wir stecken noch mittendrin, die neue Variante Omikron ist mit viel Unsicherheit verbunden. Es geht jetzt darum, die Situation sehr eng mitzuverfolgen und dabei insbesondere die Lage in den Spitälern im Auge zu behalten. Daraus müssen wir dann die Konsequenzen ziehen.
Als Laie hat man den Eindruck, die Kantone seien vom Entscheid, den Booster schon nach vier Monaten zuzulassen, überrascht worden.
Es bleibt niemandem viel Zeit, sich wirklich vorzubereiten. Die Erkenntnisse ändern laufend. Dabei ist die Verkürzung der Frist für den Booster nach der Zweitimpfung von sechs auf vier Monate ein Musterbeispiel. Solche Entscheide gehören aber zur Krise und zur Pandemie – doch alle tun dabei ihr Bestes. Voraussehen lässt sich die Entwicklung eben nur sehr schwer.
Allerdings hat Israel schon lange vor der Schweiz mit dem Boostern begonnen...
Es gibt immer Länder, die mit Blick auf einzelne Aspekte schneller oder besser unterwegs sind. Doch insgesamt können wir sagen, dass sich die Schweiz in der Pandemie bisher nicht so schlecht geschlagen hat.
Werden wir in diesem Jahr noch etwas von Ihnen hören?
Ich wünsche mir, dass Sie erst im nächsten Jahr wieder von mir hören werden.
Das Gespräch führte Beat Soltermann.