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Extinction Rebellion in Zürich Blockade fürs eigene Gewissen

Ein Schneefall im Abendverkehr hat im Januar gereicht, um Zürich lahmzulegen. Aber 200 Personen (Montag) oder 80 (Mittwoch) reichen nicht.

«Zürich lahmlegen», wie es die Demonstrierenden von Extinction Rebellion (XR) grossspurig angekündigt hatten, das ist ihnen nicht gelungen. Aufmerksamkeit zu erregen hingegen schon (auch gerade mit diesen Zeilen).

Aufmerksamkeitsökonomie hat gespielt

Knapp 300 Newsartikel und Hintergrundberichte sind in Deutschschweizer Medien erschienen – das Schweizer Fernsehen SRF berichtete zweimal. Die Aufmerksamkeitsökonomie also hat gespielt. Aber nicht im Sinne des Absenders, nicht im Sinne der Rebellen.

Ihr Anliegen war, mit den illegalen Blockaden die Politik dazu zu bringen, landesweit den Klimanotstand auszurufen und das Netto-Null-Ziel auf 2025 vorzuverlegen.

Medien haben sich aber lieber der Geschichte von XR selbst zugewendet und nicht der Klimaproblematik. Wen erstaunt’s. Der Allgemeinheit muss man die Klimakatastrophe nicht mehr erklären, sie ist das Top-Thema. Nicht nur in der Schweiz, sondern in der ganzen westlichen Welt. Und dass es schneller gehen muss, ist ein omnipräsentes Anliegen – selbst einer Bundesratspartei.

Statt Klima standen Blockaden im Fokus

Ob Netto-Null ab 2025 möglich wird, darüber hat sich ausserhalb von XR aufgrund der Blockaden also kaum jemand Gedanken gemacht. Die Aufmerksamkeit richtete sich medial hauptsächlich auf die Aktion als Happening und darauf, wie die Stadtpolizei mit den angekündigten, unbewilligten Blockaden umgeht.

XR könnte sich fragen, ob illegale Aktionen – Greenpeace ist damit gross geworden – angebracht sind bei einem Thema, das heute so oder so regelmässig Schlagzeilen diktiert.

Am falschen Ort rebelliert?

Ehrlicherweise müssten die Rebellen zum Schluss kommen: nein. Erst recht nicht in einer Stadt wie Zürich, welche seit 30 Jahren rot-grün regiert wird, in der Klimaanliegen an der Stimmurne problemlos durchkommen (2000-Watt-Gesellschaft) und die Tempo-30 gerade flächendeckend einführen will.

72.3 Prozent der Stadtzürcher Stimmenden haben Ja gesagt zum CO2-Gesetz. In Riemenstalden (SZ) betrug der Ja-Stimmenanteil gerade mal 9.1 Prozent. Wäre ehrenvoll, wenn sich die Rebellen mal da auf die (eine) Strasse setzen würden. Das Lahmlegen würde funktionieren.

Drei Tage Rebellion – bescheidene Ausbeute

Aber im Ernst: Die Rebellinnen und Rebellen wollten ihr Anliegen befördern. Das ist nicht gelungen. Gelungen ist, die Stadtpolizei Zürich über drei Tage hinweg auf Trab zu halten. «Die Behörden reagieren, wenn wir auf der Strasse sitzen», schreiben XR selber auf ihrer Homepage.

Polizeiliche Reaktionen, Wegtragungen (Neudeutsch) und Verzeigungen sind damit wohl nicht gemeint, aber genau das war die Reaktion der Behörden: den Schaden im Strassenverkehr kleinhalten, nicht beim Klima.

Die Zürcher-Lahmleg-Tage mögen den Rebellen Spass gemacht haben und ihrem Gewissen schmeicheln. Mehr war nicht.

Michael Perricone

Chef vom Dienst, SRF Newsroom

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Michael Perricone ist Chef vom Dienst in SRF Newsroom und gibt am Medienausbildungszentrum MAZ einen Kurs für Journalistinnen und Journalisten zum Umgang mit PR. Er hat 2011 als Leiter Ressort Politik bei der «Blick»-Gruppe gearbeitet.

SRF 4 News, 06.10.2021, 08:00 Uhr

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