Zum Inhalt springen

Illegale Strassenblockade «Es gibt immer Menschen, die einen Schritt weiter gehen»

Sie haben es lange im Voraus angekündigt. Heute sind sie zur Tat geschritten: Extinction Rebellion wollte Zürich «lahmlegen». Eine Strassenblockade, die auch den ÖV betraf. Helfen solche illegale Aktionen der Klimabewegung? Politologin Cloé Jans ordnet ein.

Cloé Jans

Politologin

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Cloé Jans ist Politikwissenschaftlerin beim Forschungsinstitut GfS in Bern, wo sie das operative Geschäft leitet. Ihre Fachgebiete sind unter anderem Gesellschafts- und Jugendforschung, das Gesundheitswesen und Meinungsbildung in der Schweiz.

SRF News: Die Aktion von Extinction Rebellion (XR) war illegal, aber gewaltfrei angelegt. Dennoch schränkte sie viele Menschen ein. Sie wurden behindert, das zu tun, was sie wollten, steckten zum Beispiel in einem Tram fest. Schaden oder nützen solche illegalen Aktionen der Klimabewegung?

Cloé Jans: Es gibt zwei Faktoren, die Jugendbewegungen am Leben erhalten: Zum einen die mediale Aufmerksamkeit, also ins Gespräch zu kommen und auch im Gespräch zu bleiben. Das rechtfertigt aus Sicht der Bewegung auch illegale Aktionen. Aber diese führen auch zu Reibereien innerhalb einer Bewegung: Darf man das machen? Wer macht mit? Das kann eine Bewegung auch beschädigen. Bei Occupy Wall Street war das der Fall.

Viele solcher Aktionen sorgen dafür, dass ein Thema «heiss» bleibt – und das beeindruckt die Politik schlussendlich schon.

Friday for Future ist von tausenden Jungen getragen, demonstriert vornehmlich legal. XR macht eher den Eindruck einer kleinen Kampftruppe, für die gilt: legal, illegal, scheissegal.

Gruppen, die voll auf illegale Aktionen setzen, gibt es immer wieder. Greenpeace – die werden jetzt 50 Jahre alt – lebte und lebt davon. Denn es gibt immer Menschen, die bereit sind, einen Schritt weiterzugehen.

Die Sorge ums Klima ist zumindest in der westlichen Welt fast überall Thema Nummer 1. In der Schweiz gab es mehrere Abstimmungen auf nationaler und kantonaler Ebene. Braucht es überhaupt noch illegale Aktionen, um die Politik für das Thema zu sensibilisieren? Die Dynamik in dieser Frage ist vorhanden.

Das kann man natürlich als Zwängerei wahrnehmen. Aus Sicht der Protestierenden ist es durchaus weiterhin nötig. Und während die Massen nicht für illegale Aktionen zu haben sind, teilen sie die Sorge ums Klima. Die Frage ist jetzt, ob die Meinungs- und Versammlungsfreiheit genügend Legitimation für solche Aktionen geben.

Lässt sich die Politik von illegalen Aktionen noch beeindrucken?

Von einzelnen Aktionen wahrscheinlich nicht. Aber auch eine einzelne Aktion erreicht mediale Aufmerksamkeit. Tele Züri hat heute live berichtet. Viele solcher Aktionen sorgen dafür, dass ein Thema «heiss» bleibt – und das beeindruckt die Politik schlussendlich schon.

Zuerst wollte XR Zürich «lahmlegen», dann rechnete XR mit wenigstens 300 Protestierenden, tatsächlich waren es heute rund 200.

In unserem Easyvote-Monitoring fragen wir die Jungen, wie viele für illegale Aktionen zu haben sind: rund 23 Prozent. Das sind deutlich mehr, als etwa einer Jugendpartei beitreten würden. Aber die Bereitschaft haben und dann etwas tatsächlich zu tun, sind zwei Paar Schuhe. Das sieht man gerade bei der Klimabewegung gut, Stichwort Fliegen.

Die Rolle von sozialen Bewegungen ist nun mal, das System anzuschieben.

In England ist XR auch von linker Seite kritisiert worden: Es sei eine Bewegung der Privilegierten, man müsse es sich leisten können, verhaftet zu werden, vorbestraft zu sein, eine hohe Busse zu bezahlen.

Das kann ich nicht beurteilen. Aus Überzeugung ist man unter Umständen bereit, sich sehr viel «zu leisten». Aus Studien wissen wir: Starkes politisches Engagement ist in höheren Schichten stärker verbreitet als in tieferen Schichten. Die Klimabewegung macht sich vor allem an urbanen, eher gut situierten und gut gebildeten Menschen fest. In der Easyvote-Befragung sehen wir, dass die Gymi-Schülerinnen und Schüler in der Klimafrage stärker politisiert sind, obwohl auch Berufslernende das Thema beschäftigt.

XR verlangt von der Politik, man müsse «sofort handeln, um den Kollaps zu verhindern». Im Juni hat die Stimmbevölkerung aber das CO2-Gesetz versenkt. Geht das zusammen, «sofort handeln» und Demokratie?

Die Rolle von sozialen Bewegungen ist nun mal, das System anzuschieben. Man kann das beim Klima als Zwängerei empfinden. Man kann ebenso gut meinen, es gehe zu langsam. Solange es Meinungs- und Versammlungsfreiheit gibt, kann man auch «sofort handeln» fordern.

Das Gespräch führte Michael Perricone.

Tagesschau, 04.10.2021, 12:45 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel