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Fehlende Polizeikräfte «Ich habe Schlafstörungen bekommen und bin dünnhäutig geworden»

Chronische Unterbesetzung, schlechte Stimmung im Korps: SRF redet mit einem Polizisten, der das Korps verlassen hat, und einem jungen Mann, der trotz dieser Probleme zur Basler Polizei will.

«Ich kann mir keinen abwechslungsreicheren Beruf vorstellen», sagt Samuel Lavater und ergänzt: «Man ist draussen, man redet mit den Leuten, man ist in Kontakt. Man hat Bewegung.» Sein vorheriger Beruf auf der Bank habe ihn nicht mehr erfüllt.

Ich kann mir keinen abwechslungsreicheren Beruf vorstellen.
Autor: Samuel Lavater Anwärter Basler Polizei

Während einer längeren Reise durch Südamerika sei der Wunsch gereift, die Ausbildung bei der Basler Polizei anzutreten: «Ich möchte, dass man in Basel sicher nach Hause kommen kann», betont er.

Polizeischüler Samuel Lavater im Interview
Legende: Die Abwechslung, die Bewegung und die sinnvolle Aufgabe haben Samuel Lavater die Ausbildung zum Polizisten antreten lassen. SRF

Lavater ist im zweiten Ausbildungsjahr und bis jetzt überaus motiviert. Sein Arbeitsalltag bestehe je rund zur Hälfte aus Polizeidienst auf der Strasse und Theorie-Schulungen. «An meinem Entscheid habe ich bis jetzt noch nie gezweifelt.»

Ehemaliger Polizist: «Ich habe mir gesagt: Das will ich nicht mehr»

Ganz anders klingt es bei einem ehemaligen Basler Polizisten. Gegenüber SRF erzählt er anonym von seinen Erfahrungen. Nach 14 Jahren im Dienst sei er ausgebrannt gewesen. «Ich habe Schlafstörungen bekommen und bin zunehmend dünnhäutig geworden.» Weiter setzten ihm hartnäckige Erkältungen zu. «Mit 20 steckt man das noch weg, aber irgendwann kippt es.»

Ich habe Schlafstörungen bekommen und bin zunehmend dünnhäutig geworden.
Autor: Ehemaliger Basler Polizist

Der strenge und pausenlose Arbeitsalltag im chronisch unterbesetzten Basler Korps habe ihn krank gemacht. «Ich habe gemerkt, es geht nicht mehr», sagt der 35-Jährige rückblickend.

Ich bin in meinen besten Jahren. Wenn es mir jetzt schon Probleme bereiten würde, wäre das nicht gut.
Autor: Samuel Lavater Polizeischüler BS

Anders Polizeischüler «Sämi», wie ihn alle nennen. Der 28-Jährige hat sich bewusst für eine Ausbildung bei der Basler Polizei entschieden. Gerade, weil in der Stadt viel läuft. «Ich glaube, ich bin in meinen besten Jahren. Wenn es mir jetzt schon Probleme bereiten würde, wäre das nicht gut.»

Mann zieht Polizeiuniforn an
Legende: Für Samuel Lavater ist es noch neu, die Uniform der Basler Polizei anzuziehen. Er ist überzeugt, dass ein Kulturwandel möglich ist. SRF

Aber er könne durchaus verstehen, dass es ab einem gewissen Alter anstrengender wird. «Die Last der Schichtarbeit, dann am Samstag noch einen Einsatz an einer Demo; ab einem gewissen Alter macht das sicher mehr zu schaffen.»

Dann arbeiten, wenn die anderen festen, demonstrieren oder fanen

Die negativen Schlagzeilen rund um die Basler Polizei hat Lavater natürlich mitbekommen. Die Unterbesetzung und die schlechte Stimmung im Korps sind längst nicht die einzigen Schwierigkeiten. So hat ein externer Bericht gezeigt, dass es in der Polizeileitung «problematisches Führungsverhalten» gibt, weiter Vorfälle von Rassismus und Sexismus.

Untersuchung bestätigt «schlechte Stimmung» bei Basler Polizei

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Eine Polizistin und ein Polizist von hinten fotografiert.
Legende: Rund 1000 Polizeiangestellte haben für den Bericht anonym ausgesagt. (Symbolbild) KEYSTONE/Georgios Kefalas

Ein externer Untersuchungsbericht, geleitet von einem Strafrechtler, hat im Sommer 2024 etliche Missstände bei der Basler Polizei offen gelegt. Die wichtigsten Punkte daraus:

  • Zu viel Arbeit, zu wenig Wertschätzung und fehlendes Vertrauen in die Führung: Bei mehreren Einheiten der Kantonspolizei Basel-Stadt «brodelt» es.
  • Im Bericht werden Vorfälle von Rassismus und Sexismus genannt. Darunter auch Vorkommnisse, die den rechtlich zulässigen Rahmen sprengen würden.
  • Die Kultur sei nach wie vor «männlich geprägt» und es herrsche ein «kruder Umgang» mit Frauen im Korps.

Für diese externe Untersuchung hatte der Strafrechtler Markus Schefer 1000 Polizeiangestellte anonym befragt. Anlass für die Untersuchung waren die vielen Kündigungen.

Eymann: «Das ist verheerend»

Die Basler Justiz- und Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann (LDP) bezeichnete das Resultat des Berichts als «verheerend». Sie sei erschrocken über das Ausmass der Vorwürfe.

Seither hat Eymann verschiedene Massnahmen eingeleitet. Als erste Handlung hatte sie den damaligen Polizeikommandanten freigestellt. Ausserdem mussten weitere Kadermitglieder per sofort aus der Leitung ausscheiden.

Die Sicherheitsdirektorin richtete zudem eine unabhängige Anlaufstelle für Polizistinnen und Polizisten ein.

Trotz allem ist Samuel Lavater überzeugt, dass die Mehrheit der Polizistinnen und Polizisten jeden Tag einen guten Job machen.

Die Generation der Babyboomer wird bald pensioniert. Dann wird es zu einem Kulturwandel kommen. Da bin ich ganz sicher.
Autor: Samuel Lavater Anwärter Basler Polizei

Und: Ein Wandel ist möglich, glaubt Samuel Lavater, gerade auch mit neuen, jüngeren Leuten im Korps. «Die Generation der Babyboomer wird bald pensioniert. Dann wird es zu einem Kulturwandel kommen. Da bin ich ganz sicher.» Es liege auch an der jüngeren Generation, die Zukunft zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen.

Dieser Zuversicht steht die Tatsache gegenüber, dass die Basler Polizei in einer Spirale des Unterbestands steckt. Per Oktober 2024 fehlten 105 Leute – wäre das Korps voll besetzt, wären es 735 Beamte in Uniform.

Unterbestand: «Grosse Belastung für Polizei»

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Polizeisprecher Rooven Brucker im Interview
Legende: Polizeisprecher Rooven Brucker verspricht, dass wichtige Massnahmen gegen den belastenden Unterbestand eingeleitet sind. SRF

Polizeisprecher Rooven Brucker spricht von einer grossen Belastung für die Mitarbeitenden: «Wir müssen das irgendwie aufgefangen. Unsere Polizistinnen und Polizisten müssen neben ihrem normalen Dienst zusätzlich arbeiten. Sie bekommen zum Beispiel Aufgebote für Fussballspiele und Demonstrationen. Das belastet das Familienleben, das Privatleben unserer Mitarbeitenden.»

«Wir sind dran, vieles ist in Veränderung, es wird besser»

Die Sicherheitsdirektion sei daran, die Situation zu verbessern. Zur Diskussion stehe zum Beispiel das Arbeitszeitmodell, das festlegt, in welchen Schichten die Polizistinnen und Polizisten arbeiten. Weiter will der Kanton den Mangel an Polizeikräften mit Geld bekämpfen: Polizistinnen und Polizisten sollen künftig «substanziell» mehr verdienen. «Wir sind dran, vieles ist in Veränderung, es wird besser», sagt Brucker.

Grundsatz «Sicherheit vor Ordnung»

Trotz dieser Probleme bestehe kein Sicherheitsproblem, sagt Brucker: «Die Sicherheit ist definitiv gewährleistet. Fakt ist aber auch, dass wir nach dem Grundsatz ‹Sicherheit vor Ordnung› arbeiten müssen. Es kann durchaus sein, dass Ordnungswidrigkeiten, wie Lärm oder Abfallprobleme, hinten anstehen müssen.»

Je mehr Polizisten gehen, desto grösser wird die Last. Ausserdem haben in den letzten Jahren Extra-Einsätze enorm zugenommen, weil es in Basel mehr Demonstrationen gibt.

Kommt dazu: Auf die Basler Polizei wartet ein äusserst anspruchsvolles Jahr. 2025 finden in Basel der Eurovision Song Contest und wichtige Spiele der Fussball-Europameisterschaft der Frauen statt. Beide Anlässe erfordern ein grosses Sicherheitsdispositiv.

Du wirst beleidigt, bespuckt oder gefilmt – und alles wird sofort ins Netz gestellt.
Autor: Ehemaliger Basler Polizist

Die Konsequenz: Viele Beamte kehren der Basler Polizei den Rücken – so auch der Mann, der SRF anonym von seiner Geschichte erzählt. Es sei ihm zu viel geworden, mit bis zu 100 Überstunden pro Jahr. Dazu komme, dass der Respekt vor der Polizei – besonders in der Stadt – gesunken sei. «Du wirst beleidigt, bespuckt oder gefilmt – und alles wird sofort ins Netz gestellt. Das gehört unterdessen zum Tagesgeschäft.»

Mir wurde klar, der Polizeiberuf ist ein Beziehungskiller.
Autor: Ehemaliger Basler Polizist

Zudem bleibe kaum Zeit für Erholung. Dabei wäre das wichtig, gerade weil man im Dienst auch belastende Erlebnisse hat. Wenig Erholung, viel Stress, unschöne Erlebnisse im Dienst – der Stress begleite viele Polizistinnen und Polizisten auch mit nach Hause. Für Beziehungen sei das eine Belastungsprobe. «Polizisten, die 20 Jahre an der Front waren, haben alle einen Scherbenhaufen zu Hause.» Er habe das bei vielen Kolleginnen und Kollegen mitbekommen. «Mir wurde klar, der Polizeiberuf ist ein Beziehungskiller.»

Es hat die Konsequenz daraus gezogen – und hat beim Basler Korps gekündigt. Polizist ist er aber geblieben, das mache er weiterhin gern. Unterdessen aber in einem kleineren, ländlichen Korps. Dort sei die Arbeit deutlich angenehmer.

Basler Polizei verspricht Verbesserung

Die Basler Polizei kommentiert keine Einzelfälle. Mediensprecher Rooven Brucker sagt aber: «Fakt ist, im Schichtbetrieb zu arbeiten, ist eine Herausforderung. Das ist beim Polizeiberuf in einer Stadt aber unerlässlich.»

Hinzu komme die Zusatzbelastungen durch den Unterbestand. «Das ist ein Problem und wir sind daran, das zu verbessern.»

Polizeisprecher Rooven Brucker im Interview
Legende: Der Unterbestand sei eine grosse Belastung. Laut Mediensprecher Rooven Brucker sind aber wichtige Massnahmen eingeleitet. SRF

So sollen Basler Polizistinnen und Polizisten künftig zum Beispiel mehr verdienen. Und die Basler Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann greift seit der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts durch: Sie wechselt einen grossen Teil der Polizeiführung aus. Trotzdem: Die Tatsache bleibt, dass in den letzten Monaten weiterhin mehr Leute der Basler Polizei den Rücken gekehrt haben, als neue dazugekommen sind.

Regionaljournal Basel, 29.11.2024, 17:30 Uhr;kobt

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