Weihnachten – das Fest der Besinnung, der Liebe, in Gedenken an Christi Geburt. Und alle Jahre wieder endet es oft in Stress, Geschenken im Übermass, in Streitereien mit der Familie. Weihnachten ist längst kein religiöses Fest mehr, es ist ein gesellschaftlicher Event geworden. Philosoph Martin Beckstein spricht im Interview über die Bedeutung von Weihnachten in der heutigen Zeit.
SRF News: Ist Weihnachten in einer säkularisierten Welt kein Widerspruch?
Martin Beckstein: Das scheint wie ein Widerspruch. Man muss sich ja nur vor Augen führen, dass Weihnachten ein christliches Fest ist, unbestreitbar. Aber es ist eben nicht nur ein christliches Fest, es ist auch ein säkulares Fest, auch ein multikulturelles Fest. Deswegen ist es kein Widerspruch. Es hat für alle etwas zu bieten.
Mit Religion hat Weihnachten heute nicht mehr viel zu tun. Warum ist gerade dieses Fest ein säkularer Event geworden?
Das ist eine interessante These, ob es ein Event ist. Denn ein Event ist ja etwas, was eigentlich auch ein bisschen einmalig ist. Wohingegen das Weihnachtsfest auch diese Tradition, dieses ewig Wiederkehrende kennzeichnet.
Weihnachten ist ein Fest, das Werte vertritt, für die man nicht sonderlich religiös sein muss – die Werte von Liebe, Frieden, dass es stark um die Kinder geht – das ist kulturübergreifend.
Dass Weihnachten sich als säkulares Fest anbietet, um nichtreligiösen Menschen auch etwas zu bieten, das hat damit zu tun, dass es eben ein Fest ist, dass einerseits Werte vertritt, für die man nicht sonderlich religiös sein muss – also die Werte von Liebe, Frieden, dass es stark um die Kinder geht – das ist kulturübergreifend. Andererseits ist es natürlich auch – das kann man jetzt positiv oder negativ sehen – ein Fest des Konsums und des Schenkens. Das ist natürlich auch etwas, was gesellschaftsübergreifende Relevanz entfaltet.
Viele sehen Weihnachten immer noch als Fest des Friedens und der Besinnlichkeit. Warum wird das Weihnachtsfest noch immer so romantisiert?
Romantisierung ist fast schon ein negativer Begriff, dass wir das Fest also verklären – und das würde ich nicht unterstreichen. Ich denke schon, dass es Spannungen gibt, aber das sind sehr produktive Spannungen. Weihnachten ist für mich das Fest der Besinnlichkeit. Nicht in dem Sinne, dass wir zur Ruhe kommen, dass es um Entspannung, Gemütlichkeit, Harmonie geht. Nein, es ist eine stressige Zeit wegen der ganzen Besorgungen, die wir tätigen müssen.
An keinem Tag im Jahr gibt es gesellschaftsübergreifend betrachtet so viel Streit, wie an Weihnachten. In diesem Sinne ist es nicht besinnlich, das Weihnachtsfest – und für die allermeisten Menschen ist es jetzt eben auch im religiösen Sinne nicht besinnlich, also dass wir in die innere Einkehr gehen würden, uns rückbesinnen würden auf Dogmen oder Werte.
Deswegen ist Weihnachten das Fest der Besinnlichkeit – weil es uns zum Nachdenken bringt, zur Auseinandersetzung zwingt.
Besinnlich ist es aber in dem Sinne, dass wir in die Reflexion geraten, dass wir ins Nachdenken hineinkommen, sogar in die kritische Auseinandersetzung. Ich denke, es gibt kein Fest oder keine andere Gelegenheit im Jahr, die uns mit solcher Zuverlässigkeit Reflexionsstoff gibt.
«Sollen wir jetzt wirklich wieder schenken? Ist es nicht schlecht, wenn wir aus diesem eigentlich christlichen Fest ein Fest des Konsums machen? Dürfen wir als Nichtchristen oder als nicht sonderlich religiöse Christen dieses Fest feiern? Dürfen wir trotzdem in die Kirche gehen, weil es ja irgendwie schön ist, einmal im Jahr in die Kirche zu gehen?» Das sind alles Fragen, die dieses Fest aufwirft. Deswegen ist Weihnachten das Fest der Besinnlichkeit – weil es uns zum Nachdenken bringt, zur Auseinandersetzung zwingt. Und das würde ich als etwas dezidiert Positives begreifen.
Das Gespräch führte Rachel Beroggi.