Meldungen über menschliche Embryonen, die in einem Labor im britischen Cambridge künstlich herangezogen worden sind, sorgten in den letzten Wochen für Erstaunen. Sie weckten Ängste vor künstlich erschaffenen Menschen, aber auch Hoffnung auf Durchbrüche in der Medizin. Und schnell wurden die Medienberichte kritisiert, sie seien übertrieben und irreführend. Doch wo steht die Embryonenforschung, was ist heute schon möglich und was nicht?
Wer Embryonen verstehen will, muss vor allem die ersten fünf Wochen verstehen.
Embryonen sind kleine Wunder. Für den Laien sowieso, aber auch, und vielleicht sogar noch mehr für Forscher, die sich seit Jahren mit ihnen beschäftigen. Jacob Hanna ist Stammzellforscher am Weizmann Institute for Science in Rehovot in Israel: «In den ersten fünf Wochen macht der menschliche Embryo alle seine Organe, Herz, Lunge, Leber, alle. Danach kommen eigentlich nur noch Reifung und Wachstum.»
Wer Embryonen verstehen wolle, müsse vor allem diese ersten fünf Wochen verstehen, so Jacob Hanna. Und da ist der Haken. Denn ausgerechnet über diesen Zeitraum weiss man relativ wenig. Hannas Ziel ist es nun, embryoähnliche Strukturen im Labor aus Stammzellen entstehen zu lassen und so mehr über diesen Zeitraum herauszufinden. Er züchtet dafür erst aus Stammzellen separat vier verschiedene Zelltypen heran – jene vier, die es für einen Embryo, die Plazenta und weitere Gewebe braucht.
Die künstlichen Embryonen braucht es, denn von den wenigen natürlichen, die verfügbar sind, kann man nur begrenzt lernen.
Dann bringt er diese vier Zelltypen zusammen und lässt für ein paar Tage dem Geschehen seinen Lauf. Das Ergebnis sehe einem echten Embryo an Tag 14 fast schon überraschend ähnlich, berichtet Jacob Hanna. Die Zellen bildeten von selbst die Strukturen, die für Embryonen charakteristisch seien, eine innere Architektur.
Jacob Hanna scheut sich nicht davor, über seine Arbeit zu sprechen und sie zu erklären: Die künstlichen Embryonen brauche es, denn von den wenigen natürlichen, die Forschern zur Verfügung stünden, könne man nur begrenzt lernen. Aber Hanna sucht dabei nicht das Rampenlicht.
Der vermeintliche Durchbruch
Anders, so der Eindruck in den letzten Wochen, seine Kollegin Magdalena Zernicka-Goetz von der Universität von Cambridge: Sie wolle verstehen, wie «unsere Lebensreise» beginnt, sagt sie diese Woche bei einer Pressekonferenz.
Der britische «Guardian» hatte Mitte Juni berichtet, Zernicka-Goetz habe bei sich im Labor künstliche Embryonen geschaffen, ebenfalls im Alter von 14 Tagen. Das schlug hohe Wellen vor allem in englischsprachigen Medien, doch der Bericht hatte eine dünne Basis, wie sich relativ rasch zeigte.
Diese Woche präsentierte Magdalena Zernicka-Goetz konkrete Daten und Details und ruderte zurück: Ihr Ziel sei, zu verstehen, wie Zellen im Embryo untereinander kommunizierten, denn das sei es, was zu Beginn einer Schwangerschaft so oft schiefgehe. Dafür habe sie embryonale Stammzellen genetisch verändert, dann im Labor zusammengebracht und wachsen lassen. Entstanden sei eine Struktur, die einige Eigenschaften von Embryonen gut nachstelle.
Noch viele offene Fragen
Die Konkurrenz unter Embryonen- und Stammzellforscherinnen nimmt zu. Der Ton wird schärfer, auch weil immer mehr im Labor machbar wird und die ethischen Fragen grösser werden.
Eine Triebfeder der Forscher ist die reine Neugier. Aber konkreter Nutzen dieser Forschung ist durchaus denkbar: Tests von neuen Medikamenten auf Schädlichkeit für ungeborenes Leben. Mehr Wissen für die Fortpflanzungsmedizin und frühe Aborte. Oder auch: Wenn man besser versteht, wie Embryonen Organe wie Herz, Leber und Nieren anlegen und gedeihen lassen, gelingt das in Zukunft allenfalls auch besser im Labor, was der Transplantationsmedizin helfen könnte.
Der israelische Forscher Jacob Hanna will als nächstes Embryostrukturen bis Tag 21 heranreifen lassen: «Was da im Embryo geschieht, soviel weiss man, ist faszinierend und wirkt chaotisch. Wir haben keine Ahnung, was da genau passiert.»