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Forschung mit Stammzellen Synthetische Embryonen von Mäusen bis zu Tag acht gebracht

Embryonen aus Stammzellen im Labor, die vor den Augen der Forscherinnen und Forscher heranwachsen. Eine neue Studie.

«Wer etwas wirklich verstehen will, der muss es selber nachbauen können», sagt Magdalena Zernicka-Goetz. Die Biologin am California Institute of Technology (Caltech) in den USA und an der britischen Universität Cambridge zitiert dabei den berühmten US-Physiker Richard Feyman.

Auf ihre eigene Arbeit übertragen heisst das: Solange sie es nicht schafft, Embryonen nachzubauen, die ersten Stadien des Lebens, hat sie keine Chance, Embryonen zu verstehen.  

Ausgangspunkt: Mäuseembryonen aus Stammzellen

Nun hat sie eine Studie vorgelegt, die zeigt: Sie und ihre Kollegen können Mausembryonen im Labor aus Stammzellen entstehen lassen – also nicht aus Spermien und Eizelle –, und diese Embryonen reifen bis zum achten Tag.

Wenn die Bedingungen stimmen, machen die Zellen einfach ihr Ding.
Autor: Gianluca Amadei Biologe

Die Embryonen entwickeln sich vor den Augen der Forscher in künstlicher Umgebung. Tag für Tag: die Anlage für das Herz, für das Gehirn, für Muskeln und sogar für Eizellen und Spermien. Alles wie im echten, natürlichen Mausembryo. Das Herz zum Beispiel beginnt sogar zu schlagen, wie Zernicka-Goetz in einem Video belegt.

Richtige Umgebung

Diese Arbeiten sind den Forschern gelungen, indem sie Schritt für Schritt herausfanden, welche Bedingungen sie im Labor schaffen müssen, damit die Mausstammzellen sich selbst organisieren. Wenn das klappe, sei das schlicht faszinierend, sagt Zernicka-Goetzes Mitarbeiter, Gianluca Amadei: «Wenn die Bedingungen stimmen, machen die Zellen einfach ihr Ding.»

Die Klärung von Fragen, wie sich die Zellen aufeinander abstimmen und wie sich entscheidet, wo welche Organe angelegt werden, ist damit jetzt einfacher geworden. Die Forscher können die Embryonen gezielt manipulieren – und genau beobachten.

Nächste Hürde: Plazenta im Labor

Bis jetzt gelinge das aber nur bis zum Tag acht, dann stocke die Entwicklung, sagt Amadei. Diese Hürde zu überwinden, sei das nächste Ziel.

Behälter mit Stammzellen in einem Labor.
Legende: Behälter mit Stammzellen in einem Labor. (Symbolbild) Keystone/AP/John Bazemore

Ein Knackpunkt ist dabei, die Entwicklung der Plazenta im Labor nachzustellen. Diese entsteht bei natürlichen Embryonen zu diesem Zeitpunkt von selbst – aus ganz bestimmten Zellen, die den Embryo umgeben. In der künstlichen Version klappt das noch nicht. Gelingt dies in Zukunft, werde es vielleicht sogar möglich, Mausembryonen bis zur Geburtsreife zu bringen, erklärt Amadei.

Viele neue Anwendungsmöglichkeiten

Die Forschenden sehen viele Anwendungsgebiete. Medikamente könne man an diesen künstlichen Embryonen darauf testen, ob diese der frühen Entwicklung schaden. Ausserdem könne man Fehlgeburten besser verstehen und so die Fruchtbarkeitsmedizin verbessern.

Die Geschwindigkeit schockiert mich manchmal selbst.
Autor: Magdalena Zernicka-Goetz Biologin, Caltec, Universität Cambridge

Ebenso lasse sich die Funktion von Genen bei der Embryonalentwicklung grundsätzlich aufklären, sehr viel detaillierter als bisher. Dieses neue Forschungsgebiet entwickelt sich sehr schnell. Vor wenigen Jahren habe noch niemand von synthetischen Embryonen gesprochen, sagt Zernicka-Goetz. Das Tempo schockiere sie manchmal selbst.

In ihrem Labor arbeitet sie auch an nachgebauten menschlichen Embryonen. Allerdings ist hier das Ziel der Nachbau von einzelnen Bereichen des Embryos und nicht des ganzen. Als Forscherin fordert sie, dass die Arbeit mit diesen neuen Möglichkeiten bald klar reguliert wird – damit sie weiss, wie weit sie gehen darf und soll.

Echo der Zeit, 25.08.2022, 18:00 Uhr

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