Das Wichtigste in Kürze:
- Apotheken, Drogerien und Mediziner bieten teure Gentests an, welche die Veranlagung zu Übergewicht aufdecken sollen.
- Fachleute weisen aber darauf hin, dass diese Tests nur bedingt aussagekräftig sind, da sie nur einen Teil der verantwortlichen Gene analysieren und somit nur wenigen Betroffenen etwas nützen.
- Sie empfehlen, sich einen Arzt oder eine andere Fachperson als Unterstützung zu holen.
- Ein Pharmamanager prognostiziert, dass schon in zehn Jahren jeder und jede seine persönliche Genomkarte auf sich trägt.
Genanalysen überführen Verbrecher und sagen Erbkrankheiten voraus. Aber können sie uns auch helfen, den passenden Sport oder den richtigen Partner zu finden oder – eben – abzunehmen?
«Es steht nirgends das Stichwort ‹Übergewicht› in unseren Genen», sagt Helena Jenzer, Forschungsleiterin Ernährung und Diätetik an der Berner Fachhochschule, die sich auf Genanalysen spezialisiert hat. «Wir kennen über 60 Gene, die unseren Stoffwechsel beeinflussen und damit für ein Übergewicht verantwortlich sein können.»
Mundabstrich und los geht’s
Ausgewählte Apotheken, Drogerien und Mediziner bieten Gentests an, die mögliche genetische Ursachen für das Übergewicht aufdecken sollen. Kostenpunkt: Über 300 Franken.
Es ist ganz einfach: Man macht einen Schleimhautabstrich im Mund, schickt das Wattestäbchen ein und erhält ein umfassendes Dossier mit möglichen Übergewichtsrisiken und Verhaltensempfehlungen. Medizinische Betreuung ist nicht zwingend.
Von den über 60 Genen, die Helena Jenzer als Übergewichts-Übeltäter eruiert hat, testen die Labore jedoch nur acht. «Aus technischen beziehungsweise finanziellen Gründen beschränken sich die Labore auf die Gene, die am häufigsten zu Übergewicht führen», erklärt die Ernährungsfachfrau.
Wer im Dossier nirgends ein erhöhtes Risiko entdeckt, könnte auch zu den rund zehn Prozent gehören, die eine seltenere Genveränderung haben.
Sind es die Gene oder das Verhalten?
Hinzu kommt, dass das Übergewicht ein komplexes Phänomen ist. Es gibt nicht ein defektes Gen, welches geflickt werden kann und das Übergewicht ist Geschichte. «Übergewicht ist multifaktoriell, die Interpretation der Testresultate ist schwierig», ergänzt Helena Jenzer. Und wer sagt, dass die Gene am Übergewicht schuld sind? «Eine gewichtigere Auswirkung auf unsere Figur hat unser Verhalten.»
Trotz vieler kritischer Einwände steht Helena Jenzer den Abnehm-Gentests auch positiv gegenüber: «Technisch gesehen sind solche sogenannte Lifestyle-Genanalysen nicht von schlechterer Qualität als medizinische Genanalysen.
Allerdings stehen wir in der Entwicklung erst am Anfang.» Auch andere Mediziner bestätigen: «Die Forschung an der Gendiagnostik ist eine notwendige Voraussetzung, um mehr zu verstehen. Allerdings reicht es heute noch nicht für den allgemeinen Gebrauch.»
Medizinische Beratung unbedingt empfohlen
Nicht alle übergewichtigen Menschen können heute von einer Genanalyse profitieren. Helena Jenzer rät die Analyse jenen Menschen, «die schon mehrfach erfolglos versucht haben, abzunehmen. Ihnen könnte ein Gentest zu einem besseren Verständnis ihrer Situation verhelfen. Die Unterstützung durch eine Fachperson ist jedoch zu empfehlen.»
Abnehmen, sei es durch eine angepasste Ernährung oder mehr Bewegung, muss der Patient am Schluss aber immer noch selber.
Eine Genom-Karte im Portemonnaie?
In der Pharmaindustrie ist man jetzt schon überzeugt, dass solche Gen-Analysen in Zukunft gang und gäbe seien. Ja, künftig werde sogar jeder eine kreditkarten-grosse Karte bei sich tragen, auf der das Genom gespeichert ist, liess unlängst Roche-Verwaltungsratspräsident Christoph Franz verlauten.
Also eine Karte mit allen persönlichen Genen und somit mit allen Fehlern, Unregelmässigkeiten und Erbkrankheiten. Ein Szenario, das diverse Fragen aufwirft: Ethisch-moralischer Natur, aber auch Datenschutzfragen.