In den USA, in Frankreich, Deutschland und neu auch in der Schweiz protestieren Studierende gegen den Krieg im Gazastreifen und fordern ihre Hochschulen zum Boykott israelischer Universitäten auf. Während die Uni-Leitungen in Genf und Lausanne mit den Studierenden verhandeln, haben die beiden ETH in Lausanne und Zürich den Protestierenden mit der Polizei gedroht oder diese kurzerhand auffahren lassen.
Der Präsident des ETH-Rats, des Aufsichtsgremiums der technischen Hochschulen und weiterer Institute, stützt diese Haltung in der «Samstagsrundschau» von Radio SRF.
Wo, wenn nicht an einer Hochschule muss man schwierige Themen diskutieren, reflektieren und von unterschiedlichen Sichten beleuchten?
Dass die Studierenden über den Krieg in Gaza und die dramatische humanitäre Lage diskutieren möchten, sei ein legitimes Bedürfnis, sagt Michael Hengartner. «Wo, wenn nicht an einer Hochschule muss man schwierige Themen diskutieren, reflektieren und von unterschiedlichen Sichten beleuchten? Diskussion muss stattfinden.»
Hengartner hält Dialog für wichtig
Gemäss Hengartner ist es aber ein Unterschied, ob man eine Diskussion führen wolle oder konkrete Forderungen stelle, welche die Hochschule erfüllen müsse. Hochschulen könnten nicht tolerieren, dass ihr Auftrag verhindert oder gegen die Grundsätze der Forschungs- und Meinungsfreiheit verstossen wird.
Die Protestveranstaltungen der letzten Tage hätten zwar Forschung und Lehre nicht verhindern können, so der Präsident des ETH-Rates. «Die Besetzungen können für andere Studierende jedoch beängstigend sein. Als jüdischer Student würde ich mich auch nicht wohlfühlen angesichts von Slogans, die das Existenzrecht von Israel infrage stellen.»
Die Hochschulen müssten aber mit den Studierenden im Dialog bleiben – etwa durch Podiumsdiskussionen, bei denen beide Seiten zu Wort kommen. Doch politischer Aktivismus, an dem sich Aussenstehende beteiligen, habe an Hochschulen nichts zu suchen.
Der Boykott der Zusammenarbeit mit israelischen Forscherinnen und Forschern, wie ihn die Protestierenden in der Westschweiz – unterstützt von rund 200 Professorinnen und Professoren – fordern, widerspreche der Charta der ETH, betont Hengartner. Auch hier sei es wichtig, zu differenzieren. Man dürfe nicht das ganze Land verdammen wegen Entscheidungen, die die Politik zurzeit trifft.
Etliche russische Uni-Rektoren unterstützen den Angriffskrieg auf die Ukraine. Mit diesen Institutionen können wir nicht mehr zusammenarbeiten.
Der Präsident des ETH-Rats sieht derzeit keinen Grund, Forschungspartnerschaften zwischen der Schweiz und Israel abzubrechen. Ganz anders sehe die Situation mit Russland aus: Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hatte Swissuniversities, die Konferenz der Rektorinnen und Rektoren der schweizerischen Hochschulen, im März 2022 ihre Mitglieder aufgefordert, Beziehungen zu russischen Hochschulen, die den Krieg unterstützen, abzubrechen.
Mit gutem Grund, so Michael Hengartner: «Etliche russische Uni-Rektoren haben proaktiv gesagt: ‹Wir unterstützen den Angriffskrieg. Wir finden das eine gute Sache, dass man die Ukraine vernichtet.› Mit diesen Institutionen können wir nicht mehr zusammenarbeiten.»
Wenn eine israelische Universität eine solche Haltung an den Tag legen würde, müsse die Beziehung selbstverständlich überprüft werden. Dafür gebe es aber derzeit keine Hinweise.
Forschungspartnerschaften seien in Krisen zudem oft die letzten Brücken, die zwischen Ländern noch bestehen, gibt der ETH-Ratspräsident weiter zu bedenken. Sogar während des Kalten Krieges habe Forschungszusammenarbeit zwischen Ost und West bestanden, so Michael Hengartner – in gewissen, aber nicht politisch sensiblen Bereichen.