Asylsuchende, die trotz Wegweisungsverfügung in der Schweiz bleiben, erhalten nur noch minimalste Nothilfe, das heisst: ein Dach über dem Kopf, medizinische Grundversorgung und 8 bis 10 Franken pro Tag für alles andere.
Ausserdem müssen sie meist in Rückkehrzentren leben, mit strikter Präsenzkontrolle und wenig Kontakt zur Aussenwelt. Sie dürfen nicht mehr arbeiten, Aus- und Weiterbildungen sind unerwünscht. Ziel ist es, den Druck auf die rund 4000 Betroffenen zu erhöhen, damit sie freiwillig ausreisen.
Trotz Sprachkenntnissen Arbeitsverbot
Shewit Tesfay ist einer von ihnen. Seit September wohnt der 22-jährige Eritreer in einer hübschen Einliegerwohnung in einem Einfamilienhaus in Oberscherli (BE). Sie steht in keinem Vergleich zu den Unterkünften, in denen der Mann in den fast fünf Jahren zuvor in der Schweiz gelebt hat.
Das neue Zuhause ist auch unvergleichlich viel besser als eines der drei Rückkehrzentren im Kanton Bern, in das er als abgewiesener Asylsuchender mit Wegweisungsentscheid eigentlich bald einziehen müsste. «Ich habe gearbeitet, und nach fünf Jahren darf ich das nicht mehr», sagt er. Das sei unmenschlich. Das finden auch Silvia und Albrecht Marthaler.
Die pensionierte Lehrerin und der Immobilienfachmann haben Tesfay bei sich aufgenommen: «Wir haben die Mittel und den Platz. Er ist integriert und hat die Sprache fleissig gelernt», sagt sie. Und er ergänzt: «Er ist willig und fähig, und unsere Wirtschaft lechzt doch eigentlich nach solchen Leuten.»
Das Thema ist, einem Menschen eine Chance zu geben, die er verdient hat.
Im Kanton Bern dürfen Privatpersonen abgewiesene Asylsuchende bei sich aufnehmen. Allerdings müssen sie für praktisch alle Kosten selber aufkommen. Das geht ins Geld. Grossräte von links bis rechts wollen nun erreichen, dass der Kanton zumindest die Nothilfe weiter übernimmt.
Für Marthalers ist das Geld aber ein untergeordnetes Thema: «Das Thema ist, einem Menschen eine Chance zu geben, die er verdient hat.» Ein Aufenthaltsrecht für abgewiesene Asylsuchende, die seit Jahren in der Schweiz leben und gut integriert sind – das sei das Gebot der Stunde.
Im alten Verfahren hängengeblieben
Das sieht die kleine Gruppe von Aktivisten im Nachbarort, die im Wohnzimmer von Jürg Schneider drängende Asylprobleme diskutiert, gleich. Schneider ist Präsident des Vereins «Offenes Scherli». Wer jetzt in die Schweiz flüchte, profitiere vom neuen Asylrecht mit den schnelleren Verfahren und der besseren Rechtsbegleitung, erklärt der emeritierte Wirtschaftsprofessor.
«Wir haben aber einige 1000, die im alten Verfahren hängengeblieben sind. Für sie sollte es meiner Ansicht nach eine Spezialregelung geben.» Vor zwei Jahren hat St. Gallen für eine Reihe abgewiesener Asylsuchender eine Aufenthaltsbewilligung beantragt. Spielraum bestehe also, so Schneider.
Denn wer jahrelang miserable Lebensbedingungen erdulde, habe den Tatbeweis erbracht, dass eine Rückkehr ins Ursprungsland wohl tatsächlich unmöglich sei, meint er. Statt diese Menschen dauerhaft auszugrenzen, wäre es für alle vorteilhafter, ihre Fähigkeiten zu fördern und zu nutzen.
Tesfay hat vor dem behördlich verfügten Arbeitsverbot in einem Recycling-Unternehmen gearbeitet, das kaum einheimische Arbeiter findet. Jetzt könnte er in einem bekannten Gourmet-Restaurant eine Kochlehre beginnen. Sobald die Restaurants nach der Corona-Krise wieder offen sind, könnte er mit der Arbeit loslegen – wenn die Behörden ihn denn liessen.