Zum Inhalt springen

Gespräche Schweiz-EU «Die EU versteht das politische System der Schweiz»

Die Ungeduld der Parteien mit dem Bundesrat wird grösser. Sie möchten, dass er endlich vorwärts macht bei den Gesprächen mit der EU. Dabei richtet sich der Fokus auch auf Staatssekretärin Livia Leu.

Livia Leu

Staatssekretärin des EDA

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Livia Leu ist Staatssekretärin des EDA. Die Juristin trat 1989 in den diplomatischen Dienst der Eidgenossenschaft ein. Als erste Frau war sie Botschafterin der Schweiz im Iran. Sie hat die Direktion für europäische Angelegenheiten geleitet und war Chef-Unterhändlerin für das Rahmenabkommen mit der EU.

SRF News: Der Bundesrat hat vor anderthalb Jahren das Rahmenabkommen mit der EU versenkt. Denken Sie manchmal, dass das ein Fehler war?

Livia Leu: Es ist eine politische Tatsache. Der Bundesrat hat diese Analyse als oberste politische Behörde gemacht. Es ist eine Entscheidung, die sehr fundiert auf diesen Analysen basierte.

Sie sagten in einem NZZ-Interview, die EU versuche Druck aufzubauen und verzögere das Ganze. Gilt das immer noch?

Wenn man in solchen Sondierungen oder Verhandlungen steht, darf und muss man einen klaren Blick bewahren, denn man muss die Interessen des Landes vertreten. Dass etwa die Assoziierung der Schweiz an Horizon Europe nicht vorwärtskommt, hat keinen sachlichen Grund. Das darf man auch so benennen. Im Übrigen nenne ich all diese Punkte direkt mit der EU.

Muss die Schweiz nach dem Abbruch der Verhandlungen nicht zunächst klarmachen, was sie eigentlich will?

Das hat die Schweiz ja eben gemacht. Deshalb hat der Bundesrat im Februar seine Stossrichtungen für einen Paketansatz vorgestellt. Diesen stellen wir in den Sondierungsgesprächen vertieft dar.

Livia Leu, Staatssekretärin des EDA, spricht an einem Point de Presse.
Legende: Laut Livia Leu kommen die Gespräche mit der EU voran. Doch das Gesamtpaket müsse genügend Interessen der Schweiz abdecken, betont die Staatssekretärin des Aussendepartements. KEYSTONE/Peter Schneider

Die EU sagt, es sei immer noch nicht klar genug. Können Sie das nachvollziehen?

Die EU möchte vielleicht einen hohen Grad an Klarheit in gewissen Fragen, die man halt schon früher diskutiert hat. Deshalb werden die Sondierungen auch etwas intensiviert geführt. Das ist gut investierte Zeit. Keine Seite möchte noch einmal in eine Lage kommen, wo man ansteht.

Sind Sie mit dem Grundsatz eingestanden, dass die Schweiz Zugang zum europäischen Binnenmarkt will und sich grundsätzlich auf die Spielregeln der EU einlassen muss?

Zum einen ist der Marktzugang gegenseitig. Man kann sagen, der Schweizer Markt sei viel kleiner. Beim Arbeitsmarkt aber, mit der Personenfreizügigkeit, macht die EU viel mehr Gebrauch vom Zugang zu unserem Markt. Er ist also durchaus auch von Interesse.

Die EU versteht Realpolitik und unser politisches System.

Zum anderen anerkennen wir das Bedürfnis der EU nach Homogenität des Binnenmarktes und sind bereit, die dynamische Rechtsübernahme zu akzeptieren – natürlich immer unter der Bedingung, dass unsere essenziellen Interessen geschützt sind, und dass sich das auf jene Sektoren bezieht, an denen wir am Binnenmarkt teilhaben.

Wo steht man bezüglich Streitschlichtung und Europäischer Gerichtshof (EuGH)?

Wir sind ganz klar einverstanden, dass der EuGH das Monopol der Auslegung von EU-Recht hat. Wie das genau in einer Streitschlichtung gelöst wird, ist Teil unserer Diskussionen. Dabei sind wir relativ gut unterwegs.

Die Schweiz möchte Ausnahmen beim Lohnschutz. Doch was kann die Schweiz mehr erwarten als beim Rahmenabkommen?

Es stimmt, dass die EU grundsätzlich nicht gerne Ausnahmen hat. Aber sie versteht auch Realpolitik und unser politisches System der Schweiz.

Das Gesamtpaket muss genügend Interessen der Schweiz abdecken.

Kann sich die Schweiz eine Nicht-Einigung mit dem wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Handelspartner leisten?

Die geopolitische Lage hat sich mit dem Krieg gegen die Ukraine stark geändert. Man spürt in Europa einen stärkeren Zusammenhalt. Der gute Wille ist beidseits da. Das Interesse ist beidseits gross. Es muss aber am Schluss trotzdem stimmen und innenpolitisch mehrheitsfähig sein. Auch bei den Bilateralen I und II waren nicht alle mit allem zu 100 Prozent glücklich. Aber das Gesamtpaket muss genügend Interessen der Schweiz abdecken, damit es zum Tragen kommt.

Das Gespräch führte Oliver Washington.

Echo der Zeit, 01.11.2022, 18:00 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel