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Gewalt gegen Mädchen Zürcher Schutzhaus: Hier verstecken sich gewaltbetroffene Mädchen

Gewalt gegen Mädchen ist weit verbreitet. Schutzplätze gibt es zu wenige. Besuch im einzigen Mädchenhaus der Schweiz.

Zwei abgeschlossene Türen trennen die Unterkunft von der Aussenwelt. Türen, durch die schon viele Mädchen gekommen sind. Manche mit Koffern, Kleidung und Stofftieren. Manche im Pyjama ohne Schuhe. Es ist ein Ort ohne Anschrift – von dem man erst erfährt, wenn man ihn dringend braucht: das Mädchenhaus in Zürich.

Hier finden gewaltbetroffene Mädchen im Alter zwischen 13 und 20 Jahren Schutz vor ihren Eltern, vor Drohungen, Schlägen, Übergriffen. Es ist die einzige auf diese Gruppe spezialisierte Unterkunft der Schweiz. Seit 25 Jahren gibt es sie – nun hat das Mädchenhaus der «Rundschau» exklusiv Einblick gegeben.

Gesucht von den Eltern

Leiterin Dorothea Hollender erklärt: «Es kommt immer wieder vor, dass wir Mädchen abweisen müssen, weil wir voll besetzt sind.» Sieben Plätze bietet das Mädchenhaus. Finanziert wird es von Gönnern, dem Kanton Zürich und dem Bund.

Lange Zeit traute sich Kira* nicht, durch die verschlossenen Türen zu gehen, raus in die Stadt. Ihre Familie sucht sie. Nun zieht sie ein schwarzes Cap, eine Sonnenbrille und eine Maske an, wenn sie morgens die Unterkunft verlässt, um ins Atelier zu gehen. «Die Leute starren mich an, weil es sehr auffällig ist, so vermummt herumzulaufen. Aber dafür erkennt mich meine Familie nicht sofort», sagt sie.

Die Mädchen, die zu uns kommen, haben meist jahrelang Gewalt erlebt, viele wachsen damit auf.
Autor: Dorothea Hollender Leiterin Mädchenhaus

Das Atelier ist eine interne Tagesbeschäftigung für jene Mädchen, die aus Sicherheitsgründen nicht zur Schule oder zur Arbeit gehen können. Kira wäre gerne in eine Schutzunterkunft ausserhalb von Zürich gezogen, weiter weg von ihrer Familie. Doch nirgendwo sonst gibt es dieses Angebot.

Dabei ist häusliche Gewalt gegen Mädchen häufig: 997 Fälle hat die Polizei letztes Jahr schweizweit registriert. Es dürften aber viel mehr sein. In einer Jugendbefragung 2013 gab jedes vierte Mädchen an, zu Hause Gewalt erlebt zu haben. Die Täter sind fast immer die Eltern.

Dorothea Hollender erzählt: «Die Mädchen, die zu uns kommen, haben meist jahrelang Gewalt erlebt, viele wachsen damit auf. Es geht von psychischer Gewalt, wie beleidigen oder drohen, über physische, wie schlagen, bis zur sexuellen Gewalt.»

Zu wenig Schutzplätze

Die Adresse des Mädchenhauses steht in keinem Telefonbuch. Die Bewohnerinnen dürfen keine Fotos machen, keine Videoanrufe entgegennehmen. Neuankömmlinge werden an einem Treffpunkt abgeholt und erhalten ein neues Handy. Damit man sie nicht orten kann.

Das Mädchenhaus ist eine Krisenintervention. Die Betroffenen dürfen maximal drei Monate bleiben. Die Hälfte von ihnen geht wieder zurück zu den Eltern. Die anderen wechseln in ein Heim oder eine betreute Wohngruppe.

Zur Polizei gehen die allerwenigsten. Weil sie sich nicht trauen, gegen die eigenen Eltern auszusagen oder befürchten, dass man ihnen nicht glauben würde. So kommen die Täter mehrheitlich ungestraft davon.

Letzten Sommer hat der Bundesrat in einem Bericht anerkannt, dass es in der Schweiz zu wenig Schutzplätze für gewaltbetroffene Mädchen gibt. Nun sollen die Kantone aushandeln, wo neue Schutzplätze geschaffen werden und wer dafür aufkommen soll. Doch bis tatsächlich neue Angebote bestehen, dürfte es noch dauern.

* Name geändert

Rundschau, 10.05.2023, 20:05 Uhr

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