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Gleichberechtigung Witwenrente und Wehrpflicht: Letzte Ungleichbehandlungen bröckeln

Mann und Frau sind gleichberechtigt – so steht es seit 1981 in der Bundesverfassung. Und doch hielten sich einige rechtliche Unterschiede jahrzehntelang: etwa bei der Militärdienstpflicht, dem Zivildienst, der Witwenrente oder dem Rentenalter. Dass diese Unterschiede nun schrittweise verschwinden, ist auch den Gerichten zu verdanken, beobachtet SRF-Gerichtskorrespondentin Sibilla Bondolfi.

Sibilla Bondolfi

Gerichtskorrespondentin

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Sibilla Bondolfi ist seit 2023 Gerichtskorrespondentin von Radio SRF. Davor hat sie für den zehnsprachigen Online-Dienst Swissinfo gearbeitet. Sie ist promovierte Juristin im Bereich Verfassungsrecht und Menschenrechte.

Was bedeutet Gleichberechtigung?

Frauen und Männer müssen sowohl rechtlich als auch faktisch gleich behandelt werden. Das fehlende Stimmrecht der Frauen war eine rechtliche Benachteiligung – der Gender-Pay-Gap ist eine faktische. In den vergangenen Jahrzehnten wurde viel unternommen, um Frauen den Männern faktisch gleichzustellen. Die letzten rechtlichen Ungleichbehandlungen – meist zum Nachteil der Männer – gingen dabei fast etwas unter. Das ändert sich jetzt. Die Politik hat etwa das Rentenalter angepasst.

Wie ist es bei der Witwenrente?

Bisher hatten Witwen in der Schweiz Anspruch auf eine lebenslange Rente, Witwer nur bis zur Volljährigkeit des jüngsten Kindes. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) rügte die Schweiz 2022 wegen dieser Ungleichbehandlung. Deshalb hat der Bundesrat eine Reform vorgeschlagen, die derzeit im Parlament behandelt wird. Die Rente für Witwen soll jener der Witwer angepasst werden. Es war also ein Gerichtsentscheid, der die Sache ins Rollen brachte.

Was sagt das Bundesgericht?

Das Bundesgericht vertritt seit Langem die klare Haltung: Kein Gesetz darf Frauen und Männer ungleich behandeln. Es sei denn, biologische Unterschiede schlössen eine Gleichbehandlung absolut aus – etwa bei Schwangerschaft, Geburt oder dem Stillen. Der Massstab ist dabei sehr streng: Wann immer auch eine Gleichbehandlung denkbar ist, muss das Gesetz Frauen und Männer gleich behandeln.

Warum gibt es dann trotzdem noch Unterschiede?

Früher hielt sich das Bundesgericht nicht immer an seine eigene Regel. So war es in älteren Urteilen etwa der Meinung: Weil Frauen aufgrund biologischer Unterschiede im Durchschnitt weniger gut geeignet seien fürs Militär als Männer, sei die Militärdienstpflicht nur für Männer zulässig. Dies, obwohl eine Wehrpflicht für beide Geschlechter nicht geradezu undenkbar ist – schon damals kannten mehrere Länder eine Wehrpflicht auch für Frauen. Von diesem Argument ist das Gericht denn auch in der Zwischenzeit abgekommen.

Soldatin spricht mit junger Frau an Rekrutierung
Legende: Eine Soldatin informiert eine Interessentin beim Orientierungstag zum Militärdienst im März 2025 in Bern. KEYSTONE / Peter Klaunzer

Wie sieht es das Bundesgericht heute?

Das Bundesgericht vertritt bei Themen wie der Militärdienstpflicht oder der Witwenrente den Standpunkt, diese Ungleichbehandlungen seien vom Gesetzgeber, also dem Parlament, so gewollt. Es könne als oberstes Gericht nichts daran ändern, das sei Sache der Politik.

Ist das überzeugend?

Tatsächlich sind dem Bundesgericht die Hände gebunden: Es muss Bundesgesetze auch dann anwenden, wenn sie gegen die Verfassung verstossen. Dieses Schweizer Kuriosum führt dazu, dass Betroffene den «Umweg» über den EGMR nehmen müssen: Stellt der Gerichtshof in Strassburg eine Diskriminierung fest, muss die Schweiz handeln – wie bei der Witwenrente oder dem Namensrecht, das früher nur Frauen Doppelnamen erlaubte. Aktuell ist vor dem EGMR auch ein Schweizer Fall zur Wehrpflicht nur für Männer hängig.

Rendezvous, 24.9.2025, 12:30 Uhr; wilh

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