«Ich bezeichne mich schon lange als Feministen und meine das auch ernst.» Das sagte der Aargauer SP-Nationalrat Cédric Wermuth nach einer Parteiversammlung im Herbst 2018. Wermuth machte diese Aussage unmittelbar, nachdem ihn seine Aargauer Partei als Ständeratskandidaten nominiert und ihn einer Frau vorgezogen hatte.
Ich bezeichne mich schon lange als Feministen und meine das auch ernst.
Auch wenn Wermuth privat und politisch zweifelsfrei unter Beweis stellt, dass ihm Gleichstellung wichtig ist, zeigt diese Begebenheit doch eines klar: Feministen sind immer ein Stück weit in einem Dilemma.
Im Dilemma zwischen sich einsetzen und Platz machen, zwischen sich engagieren für die Gleichberechtigung und zugunsten von Frauen zurückstehen.
Feministen: Engagieren oder Platz machen?
Dieses Dilemma, diese Gratwanderung kennt auch Sasha Rosenstein sehr gut. Er ist Präsident der «Feministen». Diese haben sich vor drei Jahren gegründet mit dem Ziel, Männer für Gleichstellungsthemen zu sensibilisieren.
Dabei habe es auch kritische Reaktionen von Feministinnen gegeben, erzählt der bärtige 25-Jährige in seinem Büro in Zürich, wo er bei Kampagnen der Frauenorganisation Alliance F mitarbeitet.
«Diese Kritikerinnen fanden, Frauen können sich doch selber emanzipieren, da haben Männer nichts verloren.» Darum probieren «Die Feministen» ganz bewusst den Spagat: Zwischen Aufklärungsarbeit in der Männerwelt punkto Feminismus, «ohne dabei den Feministinnen auf die Füsse zu treten.»
Dazu gehört auch, dass man die Beiträge der Männer für die Gleichberechtigung nicht an die grosse Glocke hängt, sondern als das nimmt, was sie in den Augen der Feministen sind: Selbstverständlichkeiten. «Dass der Mann, nur weil er am Freitag jeweils frei hat und mit den Kindern in den Zoo geht, als Superdaddy gefeiert wird, kann es nicht sein», findet Rosenstein.
Frauen waren lange auf «Feministen» angewiesen
Da hatten es die Feministen von früher einfacher, auch wenn sie sich noch nicht so genannt haben. In der Schweiz, wo die letzten Frauen erst 1991 voll stimm- und wahlberechtigt wurden, waren die Frauen politisch gesehen besonders lange auf den Goodwill der Männer angewiesen.
Waren es ursprünglich vor allem Sozialdemokraten und Sozialisten, die sich der Emanzipation der Frau annahmen, machten sich mit der Zeit auch Freisinnige und Liberale solche Forderungen zu eigen.
Schon 1919 Frauenstimmrecht im Parlament gefordert
So reichten bereits 1919 parallel zwei Nationalräte Vorstösse ein, welche die volle politische Gleichberechtigung der Frauen forderten. Einer kam vom bernischen Reformsozialisten Hermann Greulich, der andere vom basel-städtischen Freisinnigen Emil Göttisheim.
Auch in der Sozialpolitik taten sich immer wieder Männer als Sprachrohr der Frauen hervor – oft inspiriert von Forderungen der Frauenorganisationen und Gewerkschaften. Dabei ging es etwa um den Schutz der Arbeiterinnen, um die Frage der Mutterschaftsversicherung oder um die AHV.
Oft schwang bei den Argumentationen der Männer etwas Fürsorgliches, Paternalistisches, wenn nicht sogar Diskriminierendes mit. Gerade beim AHV-Rentenalter, das zunächst für Männer und Frauen bei 65 lag, zeigte sich das. Als es um die Senkung auf 62 Jahre ging, schrieb der Bundesrat 1964 zur Begründung, dass die Frau halt «physiologisch betrachtet (…) dem Mann gegenüber im Nachteil sei».
Der «Feminist» von Appenzell….
Dass ein reines Männergremium den Frauen ein fundamentales Recht gewähren sollte, gab es ein letztes Mal vor 31 Jahren, in Appenzell, als es an der Landsgemeinde 1990 um das Frauenstimmrecht ging. Die Appenzeller scheiterten an dieser Aufgabe.
Als der Landammann von der Bühne her die Nein-Stimmen aufrief, war die Mehrheit der in die Höhe gereckten Arme erdrückend. Auf dem «Tagesschau»-Beitrag von damals sieht man allerdings ganz hinten einen Mann, der seinen Arm beim «Nein» unten behalten hat, dafür aber aus Unmut die Hände verwirft.
Das darf doch nicht wahr sein, habe ich gedacht, dass wir das nicht zustande bringen.
«‹Das darf doch nicht wahr sein›, habe ich gedacht, ‹dass wir das nicht zustande bringen›», sagt dieser Mann heute. Er heisst Roland Inauen, war damals 35-jährig und arbeitete als Ethnologe an der Uni Basel.
…ist heute Regierungspräsident
Heute ist dieser Mann, dessen Unmut die Fernsehkamera verewigt hat, kein Geringerer als der Landammann von Appenzell Innerhoden, also der Präsident der Appenzeller Regierung, und Erziehungsdirektor. «Ja! Der, der da die Hände verwirft, das bin ich», bestätigt Inauen lachend.
Das Bundesgericht löste noch im selben Jahr die Blockade und verordnete den Appenzellern das Frauenstimmrecht. «Rückblickend ein Glücksfall», sagt Inauen.
Vor 30 Jahren fand dann die erste Landsgemeinde mit Frauen statt. Von da an habe ein Reformgeist durch den Kanton geweht und an die Landsgemeinde seien wieder mehr Junge gekommen.
Gleichstellung bleibt täglicher Kampf
Aber, sagt der Landammann, Gleichberechtigung bleibe ein täglicher Kampf. Zwar sei es gelungen, dass die Gerichte heute ausgewogen besetzt seien, aber es störe ihn, dass im Innerrhoder Kantonsparlament immer noch erst auf jedem fünften Stuhl eine Frau sitze.
Dass Gleichstellung für ihn ein wichtiges Thema ist, mag auch damit zusammenhängen, dass er früher an der Uni, wie er sagt, einige feministische Kolleginnen gehabt habe. Aber sich selber als Feministen bezeichnet habe er früher nicht und würde es auch heute nicht tun.
Feministischer Vater
Dabei trennt ihn vielleicht gar nicht soviel von Sasha Rosenstein, dem «Feministen»-Präsidenten. Auch er verweist nämlich auf «coole feministische Freundinnen», die ihn beeinflusst hätten, aber auch auf seine Mutter, die immer 100 Prozent gearbeitet habe.
«Und mein Vater», so der 25-jährige Rosenstein, «bezeichnet sich heute selber als Feministen und kommt auch an unsere Treffen!»
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