Zuerst ein Blick zurück: Da war die MeToo-Bewegung, die 2017 weltweit grosse Aufmerksamkeit erhielt – und die sexuelle Gewalt an Frauen und Belästigung thematisierte. Auch in der Schweiz löste sie einiges aus. Der Frauenstreik 2019 mobilisierte breit bis ins bürgerliche Lager hinein.
Es ist spürbar schwieriger geworden für feministische und allgemein progressive Anliegen.
Bei den Wahlen vor sechs Jahren wurden so viele Frauen wie noch nie ins nationale Parlament gewählt. Es gab massiven Druck aus der Zivilgesellschaft, sagt Politologin Cloé Jans: «Viele feministische und auch progressive Anliegen allgemein hatten Aufwind. Das hat sich geändert. Es ist spürbar schwieriger geworden für feministische und allgemein progressive Anliegen.»
Jans nennt als Beispiele etwa die Kita-Finanzierung und die Individualbesteuerung – beides Gleichstellungsanliegen, gegen die es spürbaren Widerstand gebe im Parlament.
Es ist völlig widersinnig und gefährlich bis tödlich für die Frauen, wenn sie in der Medizin einfach so behandelt werden wie die Männer.
Grünen-Nationalrätin Manuela Weichelt, 2019 ins Parlament gewählt, stellt seit den letzten Wahlen eher wieder Rückschritte bei der Gleichstellung fest. Sie kritisiert unter anderem die Sparpolitik bei der gesundheitlichen Chancengleichheit: «Es ist völlig widersinnig und gefährlich bis tödlich für die Frauen, wenn sie in der Medizin einfach so behandelt werden wie die Männer.»
Mehr Femizide im laufenden Jahr
Die ehemalige langjährige Zuger Sozialdirektorin sieht aber auch die Anzahl Femizide in der Schweiz als Ausdruck einer Gegenbewegung, eines sogenannten Backlash: «Man liest jeden Monat davon, die Schweiz macht da nichts Spürbares dagegen.» Im ersten Halbjahr 2025 sind 18 Frauen und Mädchen getötet worden – deutlich mehr als im gleichen Zeitraum in den Vorjahren.
Grosse internationale Firmen stellen ihre Gleichstellungsprogramme ein oder reduzieren sie aus Rücksicht auf die Entwicklungen in den USA.
FDP-Nationalrätin Bettina Balmer spürt zudem einen Rückschritt bei der Gleichstellung in der Wirtschaft: «Gerade grosse internationale Firmen stellen ihre Gleichstellungsprogramme ein oder machen sie kleiner aus Rücksicht auf die Entwicklungen in den USA. Das bedauere ich ausserordentlich.» Im Parlament herrsche derweil Spardruck und ein heftiger Verteilkampf. Da hätten gleichstellungspolitische Anliegen nicht die besten Karten.
Gemäss Politologin Cloé Jans ist derzeit auch in der Zivilgesellschaft wenig Aufwind für Gleichstellungsanliegen zu spüren: «Wir sind in einer schwierigen weltweiten Lage, mit Kriegen und Kostensteigerungen. In solchen Zeiten hat es progressive Politik meist schwer.»
Es betrifft jeweils die Hälfte der Bevölkerung. Das ist ein grosser Graben, der sich hier auftut.
Auffällig sei zudem, dass es eine grosse Polarisierung zwischen Männern und Frauen gebe, was die Gleichstellungsthematik betreffe. Und bei den jungen Generationen sei dieser Graben noch grösser: «Das hat natürlich nachhaltige Auswirkungen auf den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Art und Weise, wie wir Politik machen. Und es betrifft jeweils die Hälfte der Bevölkerung. Das ist ein grosser Graben, der sich hier auftut.»
«Jetzt-erst-recht-Mentalität»
Das Thema Gleichstellung dürfte also auch in Zukunft für Kontroversen sorgen. Und – auch das sagt Politologin Jans – generell verlaufe Politik nicht linear, sondern in zyklischen Bewegungen. FDP-Nationalrätin Bettina Balmer stellt denn auch unter den Frauen im Parlament eine gewisse «Jetzt-erst-recht-Mentalität» fest. Für sie ist klar: Gleichstellungsanliegen dürften trotz angespannter Finanzlage nicht einfach vergessen gehen.