Ein neu publizierter Indikator im Schweizer Versorgungsatlas des Gesundheitsobservatoriums Obsan gibt Aufschluss über die mengenmässigen Abgaben der Abnehmspritze. Die Zahlen sind auf diejenigen Präparate beschränkt, die in der Schweiz für die Behandlung von Adipositas zugelassen sind und von der Krankenkasse bezahlt werden. Das betrifft vor allem das verschreibungspflichtige Medikament Wegovy der dänischen Herstellerin Novo Nordisk.
Wegovy wird seit Frühling 2024 teilweise von der Krankenkasse übernommen. Seit dann zeigt sich ein sprunghafter Anstieg der Inanspruchnahme. Bis Ende Jahr liessen sich rund 40'000 Personen das Medikament von der Krankenkasse erstatten. Die Kosten dafür betrugen gemäss Krankenkassenverband Prioswiss alleine in den ersten zehn Monaten bereits rund 43 Millionen Franken. Sie könnten laut dem Verband schätzungsweise sogar auf bis zu 300 Millionen Franken jährlich ansteigen.
Markanter Geschlechterunterschied
Was im Obsan-Indikator auffällt, ist der markante Geschlechterunterschied: Frauen greifen demnach viel häufiger zur Abnehmspritze als Männer – obwohl deutlich mehr Männer von Adipositas und Übergewicht betroffen sind. Laut der Schweizerischen Gesundheitsbefragung sind 52 Prozent der Männer übergewichtig oder adipös, bei den Frauen sind es 34 Prozent.
Weiter zeigt sich in den Auswertungen: Personen zwischen 41 und 60 Jahren nehmen am häufigsten sogenannte GLP-1-Medikamente, die der Gewichtsreduktion dienen sollen, in Anspruch.
Auch am Universitätsspital Zürich bemerke man einen Unterschied in Bezug auf das Geschlecht, so Arzt Philipp Gerber, der das Adipositas-Zentrum leitet. Seiner Erfahrung nach suchen Frauen häufiger Adipositas-Sprechstunden auf als Männer.
Frauen unterliegen stärker dem gängigen Schönheitsideal
Gabriela Fontana vom Dachverband Allianz Adipositas ist nicht überrascht über den Geschlechterunterschied: «Frauen unterliegen stärker dem gängigen Schönheitsideal und sind schneller unzufrieden mit ihrem Körpergewicht als Männer. Und sie nehmen wohl auch eher medizinische Hilfe in Anspruch.»
Geschlechterspezifische Normen führt auch das Bundesamt für Statistik ins Feld: Die Schweizerische Gesundheitsbefragung zeigt, dass Frauen eine andere Selbstwahrnehmung in Bezug auf das Körpergewicht haben als Männer.
Stark übergewichtige Menschen werden stigmatisiert – «auch vom Fachpersonal»
Wo sie indes kaum geschlechterspezifische Unterschiede feststelle, sei in Bezug auf die Stigmatisierung von Menschen mit Adipositas, merkt Gabriela Fontana an: «Stark übergewichtige Menschen erleben sehr häufig Stigmatisierung – und zwar nicht nur von der Bevölkerung, sondern auch von Gesundheitsfachpersonal.» Das würden Befragungen zeigen.
Studien zur Diskriminierung von übergewichtigen Menschen durch Fachpersonal
Gemäss Untersuchungen werden etwa gesundheitliche Probleme teilweise nicht ernst genommen und stattdessen auf das Gewicht der Betroffenen zurückgeführt. Egal, ob dieses die Ursache der Probleme ist oder nicht. Dies führt gemäss der Allianz Adipositas dazu, dass sich Betroffene aus Angst vor Stigmatisierung keine professionelle Hilfe suchen würden.