- Das Bundesgericht hebt die Volksabstimmung über die Heiratsstrafe auf – das gab es noch nie.
- Die Abstimmungsbeschwerde der CVP wurde damit gutgeheissen.
- Es sei klar, dass die Abstimmung nun wiederholt werden müsse, freuen sich die Beschwerdeführer. Möglicherweise auch die parlamentarische Beratung.
- Der Bundesrat will erst nach Kenntnis der schriftlichen Urteilsbegründung konkret zur Angelegenheit Stellung nehmen.
Wie gross ist der Unterschied zwischen 80’000 und 454'000? Nach dem heutigen Bundesgerichtsentscheid genügend gross, um eine Volksabstimmung zu kippen, wie sich das die CVP erhofft hatte. Diese nämlich hatte Abstimmungsbeschwerde eingereicht, nachdem 2016 ihre Initiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe» mit knappen 50.8 % Nein abgelehnt worden war.
Im Abstimmungsbüchlein, das der Bundesrat verantwortet, stand damals zur CVP-Initiative folgendes: Von der Heiratsstrafe – einer steuerlichen Benachteiligung verheirateter Doppelverdiener – seien nur 80'000 Ehepaare betroffen. 2018 aber musste der Bundesrat zugeben: Falsch. Es seien 454'000 Paare im ganzen Land betroffen. Nämlich all jene ebenfalls, die Kinder hätten.
Die CVP findet: Hätten die StimmbürgerInnen gewusst, dass so viele Paare betroffen seien, hätte es statt eines knappen Neins wohl ein Ja gegeben. Zumal die Initiative das Ständemehr erreichte. Und reichte eine Abstimmungsbeschwerde ein, die Abstimmung sei als ungültig zu erklären.
Historischer Entscheid
Das Bundesgericht hat nun entschieden: Wegen dieses Fehlers ist die Abstimmung nicht gültig. Damit sei das Transparenz-Gebot schwerwiegend verletzt worden. Andreas Glaser, der am Zentrum für Demokratie Aarau forscht, erklärt: «Das Bundesgericht war bisher sehr zurückhaltend, weil der Instrumentalisierung gerichtlicher Verfahren für politische Zwecke sonst Vorschub geleistet würde.» Bisher wurden nur kantonale oder kommunale Abstimmungen aufgehoben.
Dennoch sei der heutige Entscheid stimmig, meint Glaser: «Im Gegensatz zum Entscheid zur Unternehmensreform II, wo das Bundesgericht eine Abstimmungsbeschwerde abwies, hat die Ungültigkeitserklärung der Heirats-Abstimmung keine Konsequenzen, ausser auf politischer Ebene.»
Tatsächlich hatte das Bundesgericht eine Abstimmungsbeschwerde der SP noch abgelehnt, wo es um einen ähnlichen Fall ging: 2008 sagte das Stimmvolk mit 50.5 % Ja zur Unternehmenssteuerreform II. Auch damals gab es im Abstimmungsbüchlein einen Fehler: Der Bundesrat schrieb von Steuerausfällen im Umfang von gegen 1 Milliarde Franken. Aber es waren etliche Milliarden mehr, wie sich nach der Umsetzung der Reform zeigte. «Das Bundesgericht wollte diesen Volksentscheid nicht aufheben, die Firmen hatten sich bereits mit dem neuen Steuerregime arrangiert. Es gab keine Rechtsunsicherheit.»