In der Schweiz sprechen wir viele Sprachen – die wenigsten aber können oder verstehen Gebärdensprache. Dabei sind gewisse Wörter je nachdem lebensrettend. Das Problem: Auch Ärzte verstehen gehörlose Patientinnen und Patienten oft nicht. Eine Familie aus Deutschland bietet da auf Youtube Nachhilfe an, ganz ohne Ton:
Es liegt auf der Hand: beim Besuch in der Praxis brauchen Gehörlose einen Gebärdendolmetscher. Heute müssen sie die Kosten dafür teils selber berappen. Am Dienstag sagte das Parlament: Das muss sich ändern.
Wie schwierig der Status quo für Betroffene ist, zeigt sich, wenn eine gehörlose Person zur Ärztin oder ins Spital muss. Ohne Gebärdendolmetscher ist die Kommunikation schwierig und es drohen Missverständnisse.
Gefühl der Ohnmacht
Joel Toggenburger ist seit seiner Geburt gehörlos. Vor einem Jahr bekam der Familienvater gesundheitliche Probleme und konnte keine feste Nahrung mehr zu sich nehmen: «Ich ging zum Hausarzt und habe versucht, ihm mein Problem zu erklären. Der Hinweis auf Schluckprobleme war aber zu wenig detailliert. Es war schwierig für mich, ihm zu erklären, dass ich zum Beispiel Suppe essen kann, aber andere Dinge nicht.»
Toggenburger lässt sich teilweise von seiner Mutter begleiten. Trotz umfangreicher Abklärungen bleibt unklar, was er genau hat: «Manchmal haben der Arzt und meine Mutter sich unterhalten, die Übersetzung war aber nur sehr rudimentär. Ich hatte das Gefühl, viel verpasst zu haben. Zudem wurde meine Privatsphäre verletzt, weil ich diese privaten Dinge mit meiner Mutter teilen musste. Das war schwierig für mich. Eine professionelle Dolmetscherin untersteht der Schweigepflicht und ist unabhängig.»
Toggenburger tauscht sich vor der Debatte im Nationalrat mit Ben Jud vom Gehörlosenbund aus. Dieser kritisiert an der aktuellen Situation, «dass alle genau gleich Krankenkassenprämien bezahlen, aber nicht die gleichen Leistungen bekommen. Das kann es nicht sein».
Gravierende Missverständnisse
Für unseren Bericht begleitet uns eine Dolmetscherin, die auch häufig im Spital oder in der Arztpraxis übersetzt. Sie erlebt immer wieder Situationen, in denen es zum Teil gravierende Missverständnisse gebe: «Kürzlich hat eine gehörlose Person gemeint, sie komme zu einer Besprechung von Blutwerten. Aber es hat sich herausgestellt, dass ihre Operation zur Tumorentfernung besprochen wird.»
Die Person sei aus allen Wolken gefallen, schildert die Dolmetscherin: «Wir mussten zwei Stunden lang mit ihr interagieren, bis sie überhaupt fähig war, aufzunehmen, wie es jetzt weiter geht. Das war natürlich ein Schock.»
Toggenburger und Jud haben den Entscheid mit Spannung verfolgt: «Wir vom SGB sind überglücklich, dass dieser Schritt gemacht wurde. Nun erwarten wir von Bundesrat und Parlament rasche Umsetzungsschritte, damit die flächendeckende Finanzierung von Gebärdendolmetschleistungen gesichert ist und alle die gleichen Leistungen beziehen können.»
Für Toggenburger ist der Entscheid ein Lichtblick, denn die mangelnde Kommunikation belastet ihn. «Manchmal bin ich frustriert. Ich bekomme nicht alle Informationen und bin gezwungen, im Nachhinein im Internet zu recherchieren oder E-Mails mit dem Arzt auszutauschen.»
Eine definitive Diagnose hat er immer noch nicht, es geht ihm aber langsam besser. Besser werden sollte auch bald die Kommunikation mit den Ärzten.