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Idee zum Herdenschutz Wenn das Schaf nach Wolf riecht

Die Angriffe von Wölfen auf Schafe und andere Nutztiere nehmen schweizweit zu. Zwei Schweizer Forschende testen derzeit eine Idee, wie man den Herdenschutz verbessern könnte. Es geht um wölfische Duftstoffe.

Wilde Natur, steile Weiden, unwegsames Gelände: Auf der Schafalp Gadriola bei Nufenen im Kanton Graubünden tummeln sich rund 400 Schafe. Die bimmelnden Glöckchen verbreiten eine Alpenidylle, die längst nicht immer Realität ist. 17 Schafe wurden in diesem Sommer bereits von Wölfen gerissen.

Das ist ein Grund, warum die Schafe an ihrem Halsband seit kurzem ein graues Kästchen tragen. Ein Kästchen, in dem die Idee von Federico Tettamanti versteckt ist. Künstlich hergestellte Duftstoffe von Wölfen sind drin, sie sollen andere Wölfe von den Schafen fernhalten.

«Wölfe markieren ihr Territorium mithilfe von Pheromonen, wie andere Tiere auch», sagt Federico Tettamanti – und erklärt weiter: «Wir nehmen diese Duftstoffe und legen sie in die Box. Das Tier trägt das Halsband mit den Wolfspheromonen, damit es immer diesen Schutz um sich herum hat.» Die Schafe selbst fühlen sich durch den Wolfsduft am Hals nicht gestresst.

Ob das eine Wirkung zeigt, kann man im Moment noch nicht sagen. Wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen.
Autor: Marko Maitz Alphirt

An mehreren Orten in der Schweiz und in Italien läuft zurzeit die Testphase, während der insgesamt 657 Tiere ein Halsband mit Duftstoffen tragen. Bei den Tests ist bis jetzt erst ein Tier vom Wolf attackiert worden. Auf der Alp Gadriola, wo die Schafe die Duftkästchen seit zwei Wochen tragen, gab es keine neuen Risse.

Trotzdem relativiert Alphirt Marko Maitz: «Ob das eine Wirkung zeigt, kann man im Moment noch nicht sagen. Wir hoffen es, aber wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen.» Immerhin: Der Älpler kann jetzt eine Weide bewirtschaften, die bis anhin wegen der Wolfsgefahr schaffrei war.

Merkt der Wolf, dass es nur ein Schwindel ist?

Dank DNA-Analysen konnte der Projektpartner von Tettamanti, Davide Staedler, die Wolfspheromone entschlüsseln. In seinem Chemielabor Tibio in der Westschweiz stellt er die künstlichen Duftstoffe her und packt sie ab. Dann kommen sie ins graue Kästchen. Preis: 25 Franken.

Frage an den Chemiker: Kann es sein, dass die Wölfe früher oder später merken, dass die Gerüche künstlich hergestellt und für sie ungefährlich sind? «Ja, das Risiko besteht», sagt Staedler. «Aus diesem Grund arbeiten wir ständig an neuen Molekülen.» Man wolle das Rezept bei Bedarf ändern, damit die Tiere sich nicht daran gewöhnen können.

Vor den Tests in freier Wildbahn führten die Projektleiter in einem Zoo in Österreich erste Versuche durch. So legten sie zum Beispiel dort, wo die Wölfe ihr Frischfleisch zu fressen gewohnt waren, Pheromonbeutel hin. Und siehe da: Die Wölfe liessen die Mahlzeit liegen, um sie nach dem Entfernen der Duftbeutel wieder lechzend zu verzehren.

Chance zur Beruhigung der Wolfsdebatte

Zoologieprofessor Marco Apolloni von der Universität Sassari in Italien sieht Chancen für das Projekt, verweist aber auf noch fehlende wissenschaftliche Daten. «Der Langzeiteffekt auf die Wölfe muss erst noch erforscht werden», sagt er. Aber es könne schon ein wertvoller Beitrag sein, die Angriffe auf Nutztiere wie Schafe zu stoppen oder zu reduzieren.

Der Kanton Graubünden und der Bund unterstützen das Projekt. Auch bei den Behörden ist man daran interessiert, nebst Hunden und Zäunen noch andere Herdenschutzmassnahmen zur Verfügung zu haben. Das könnte die emotional geführte Diskussion um den Wolf wieder ein bisschen beruhigen.

10vor10, 16.08.2023, 21:50 Uhr

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