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Impfstatus und Triage «Die Richtlinien sind klar: Impfstatus ist kein Triage-Kriterium»

Das Gesundheitswesen kommt an den Anschlag. Vermehrt werden auch radikale Massnahmen erwogen – Massnahmen aus Angst vor einer Überlastung des Gesundheitswesens. Die Spitäler bereiten sich auf mögliche Triagen vor. Vermehrt kommen Stimmen auf, dass der Impfstatus bei der Triage-Entscheidung eine Rolle spielen soll. Der Impfstatus dürfe auf keinen Fall eine Rolle spielen, meint Andrea Büchler, Präsidentin der nationalen Ethikkommission, im Tagesgespräch.

Andrea Büchler

Präsidentin Nationale Ethikkommission

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Andrea Büchler ist Professorin für Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität Zürich und Präsidentin der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin.

2012 hat die Ethikkommission einen Bericht zum Umgang mit Varianten der Geschlechtsentwicklung verfasst, 2020 legte die Kommission einen Bericht zur amtlichen Registrierung des Geschlechts vor.

SRF News: Die Spitäler bereiten sich auf Triagen vor. Die Stimmen vermehren sich, dass die Triage-Richtlinien bezüglich Impfstatus überdacht werden müssen. Ist das in Ordnung?

Andrea Büchler: Die Richtlinien der SAMW (Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften) punkto Triage sind klar. Der Impfstatus ist kein Kriterium bei der Triage. Es geht ausschliesslich um die kurzfristige Überlebensprognose. Diese Entscheidung können ohnehin nur die Ärzte vor Ort machen. Hier sind viele Faktoren mitentscheidend. Das Kriterium ‹Verschulden› miteinzubeziehen ist nicht vertretbar. Überhaupt hier von Verschulden zu sprechen, wird der Komplexität des Ganzen nicht gerecht.

Die medizinische Dringlichkeit und der medizinische Nutzen sind entscheidend.

Gemäss Triagerichtlinien der SAMW muss die grösste Anzahl Leben bei Ressourcenknappheit gerettet werden. Hier wird die Kurzfristigkeits-Prognose zum Thema. Die Dachorganisation der Krebspatienten zum Beispiel hat nun aber gefordert, dass die Richtlinien überdacht werden müssen. Allein die Kurzfristigkeit kann es nicht sein.

Hier rütteln wir an den Grundfesten unseres Gesundheitssystems. Dieses ist darauf ausgerichtet, dass alle Menschen Anrecht auf eine Behandlung gleicher Qualität haben; und entscheidend sind die medizinischen Kriterien. Auch bei der Organtransplantation haben wir eine ähnliche Situation. Wir haben eine Knappheit von Organen, welche transplantiert werden können. Auch hier sind es keine Verschuldenserwägungen, welche angewendet werden bei der Frage, wer welches Organ bekommt. Die medizinische Dringlichkeit und der medizinische Nutzen sind entscheidend.

Die Richtlinien zum Nachlesen

Vereinzelt kommt auch vermehrt die Forderung auf, dass Ungeimpfte auf ein Intensivbett verzichten sollen. Kann man das verlangen?

Es gibt das Instrument der Patientenverfügung, um der Selbstbestimmung Ausdruck verleihen zu können. Es ist aber seltsam, dass man überhaupt davon spricht, dass eine Patientenverfügung für diesen Fall gemacht werden soll.

Das Gespräch führte Marc Lehmann.

SRF 4, Rendez-vous, 13.12.2021, 12:30 Uhr ; 

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