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Inklusion in Schweizer Armee Antreten im Rollstuhl: Sport-RS erstmals mit Para-Athleten

Elena Kratter und Fabian Recher sind die ersten Menschen mit Beeinträchtigung in der Spitzensport Rekrutenschule.

«Kompanie, Achtung!», heisst es bei strömendem Regen am frühen Morgen in der Spitzensport-RS in Magglingen. Die 40 Rekrutinnen und Rekruten stehen sofort stramm – die Arme gerade nach unten. Darunter sind auch die Paralympics-Teilnehmenden Elena Kratter und Fabian Recher.

Nach dem Frühstück fährt die Kompanie nach Wangen an der Aare. Dort muss die Uniform und weiteres Material abgeholt werden. Für die Kleider werden Kopf, Taille, Arm- und Beinlänge gemessen. Die Ausgehuniform wird anpropiert und allenfalls mit einer Nähmaschine angepasst, damit alles sitzt.

Auch im normalen Leben ist es eine Challenge, passende Schuhe zu finden
Autor: Fabian Recher Spitzensport-Rekrut

Einzig die passenden Schuhe zu finden ist für Fabian Recher etwas komplizierter als bei anderen. «Auch im normalen Leben ist es eine Challenge, passende Schuhe zu finden», sagt Recher. «Weil ich kleinere Füsse habe als andere und sie nicht so beweglich sind.»

Mann im Rollstuhl, daneben knieender Mann
Legende: Ausrüstung fassen: Fabian Recher hat Mühe passende Schuhe zu finden. SRF

Zur gleichen Zeit erhält Elena Kratter bereits den Tarnanzug und übt nun mit den anderen Rekrutinnen die Dienstgrade. «Wir haben Prüfungen Ende Woche, deshalb ist es besser etwas zu lernen. Ausserdem ist es gut, um die Wartezeit zu überbrücken», sagt Kratter und lächelt.

Die Beeinträchtigungen

Box aufklappen Box zuklappen

Elena Kratters rechter Unterschenkel wurde kurz nach der Geburt amputiert. Seit klein auf lebt sie mit einer Prothese. Fabian Recher bewegt sich im Rollstuhl fort. Er wurde als erstes europäisches Baby mit einem offenen Rücken vor seiner Geburt im Mutterleib operiert.

Zeit zum Warten hat die 25-Jährige in ihrem Alltag weniger. Sie trainiert jeden Tag, wenn es ihre Arbeit als Prothesen-Technikerin zulässt. 2019 wechselte Kratter vom Skisport in die Leichtathletik.

Blonde, junge Frau in rotem Trainer lächelt und hält eine bronzene Medaille vor ihre Brust
Legende: An ihrer ersten Paralympics in Tokio holt sich Elena Kratter gleich Bronze im Weitsprung. Keystone

Dank der Spitzensport RS habe sie die Möglichkeit sich voll und ganz auf den Sport zu konzentrieren. Kratter sagt: «Für mich ist es eine riesige Chance vier Monate lang professionell zu trainieren und vom Sport zu leben.»

Auch Fabian Recher muss Arbeit und Sport unter einen Hut bringen. Der zweifache Schweizermeister im Handbike fuhr an seinen ersten Paralympics zwei Diplome ein.

Liege-Velo mit Handtreten
Legende: Fabian Recher mit seinem Handbike an den Paralympics in Tokio. Keystone

Neben dem Sport arbeitet der 22-Jährige als Kaufmann.«Es war immer eine grosse Herausforderung zwischen Schule, Arbeit und sonstigen Verpflichtungen. Nun steht der Sport an erster Stelle.»

Nur ein Schritt in die richtige Richtung

Dass Menschen mit Beeinträchtigung, jetzt die Spitzensport RS absolvieren dürfen, ist für Maya Graf ein Schritt in die richtige Richtung. Doch der Co-Präsidentin von Inclusion Handicap, dem Dachverband der Behinderten-Organisationen in der Schweiz dauerte es viel zu lange.

Die Armee muss in allen Bereichen offen sein für Menschen mit Behinderungen, nicht nur im Spitzensport.
Autor: Maya Graf Co-Präsidentin Inclusion Handicap

Und Graf fordert: «Die Armee muss in allen Bereichen offen sein für Menschen mit Behinderungen, nicht nur im Spitzensport.» Denn das Militär habe eine Vorbildfunktion. «Wir brauchen Inklusion in allen Gesellschaftsbereichen.»

Umdenken in der Armee

Der Chef der Rekrutierung der Armee, Mathias Müller, entgegnet: Immer, wenn jemand mit Einschränkungen ins Militär möchte, tue man alles, um dies zu ermöglichen. Aber es gebe bisher fast keine Anfragen.

Müller vermutet, der Grund sei, dass Menschen mit einem Behinderungsgrad von über 40 Prozent gar keinen Dienst leisten müssten. Somit müssten sie auch keinen Wehrpflichtersatz zahlen. «Die brauchen schon enorm Motivation, um freiwillig ins Militär zu gehen.»

Vor rund vier Jahren wollte ich schon in die Spitzensport RS, da sagte man mir: keine Chance!
Autor: Fabian Recher Spitzensport-Rekrut

Fabian Recher meldete sich bereits früher. «Vor rund vier Jahren wollte ich schon in die Spitzensport RS, da sagte man mir: keine Chance!» Offensichtlich fand ein Umdenken in der Armeeführung statt. Und die ersten Tage zeigen, mit ein bisschen Flexibilität scheint es zu funktionieren.

Recher ist jedenfalls zufrieden mit dem RS-Start. Er sagt: «Besonders geblieben ist mir, das Ausmessen der Kleider, weil nicht gerade alles sofort gepasst hat. Aber wir fanden immer eine Lösung.» Auch Kratter gefällt es bisher. «Die ersten Tage waren sehr spannend. Das ist natürlich alles neu und ungewohnt, aber es macht Spass.» Ein vielversprechender Start, dass Menschen mit Beeinträchtigung künftig auch im Militär nicht die Ausnahme sein müssen.

10 vor 10, 03.11.2021, 21:50 Uhr

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