Zum Inhalt springen

Interview mit Hanna Fischer Klima-Aktivistin: «Wir wollten, dass es einen Aufschrei gibt»

Diese Woche hatten Klimaaktivisten den Bundesplatz in Bern besetzt. Die illegale Aktion sorgte für einige rote Köpfe und wurde schliesslich in der Nacht auf Mittwoch aufgelöst. Eine, die im Vorfeld in den sozialen Medien aktiv zur Teilnahme am Camp aufgerufen hatte, ist Hanna Fischer. Im Interview erklärt die Aktivistin, weshalb die illegale Aktion von Nöten gewesen sei.

Hanna Fischer

Mediensprecherin Klimastreik

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Hanna Fischer ist eine Schweizer Klimaaktivistin. Sie ist Mediensprecherin des Kollektivs Klimastreik Schweiz.

SRF: Frau Fischer, am Mittwochmorgen um fünf Uhr wurden Sie von der Polizei abtransportiert. Wie haben Sie das erlebt?

Hanna Fischer: Das war ein ganz spezielles Gefühl. Es war absurd, wie die Polizei uns Aktivistinnen abtransportierte, während wir ja nur fröhlich am Singen waren. Zu den Leuten im Bundeshaus, die mit ihrem Handeln Leben gefährden, gehen sie nicht. Oder Konzerne, der Finanzplatz: Hier transportieren sie niemanden ab. Diese Absurdität spürte ich ganz stark.

Die Leute müssen verstehen, dass irgendetwas falsch läuft in dieser Gesellschaft, wenn so viele Menschen den Bundesplatz in Bern besetzen und einen Strafregistereintrag riskieren.

Die Bilder waren überall zu sehen, im Fernsehen, in den Zeitungen. War das vor allem das Ziel?

Ja, es war sicher eines der Ziele. Dass wir die Aufmerksamkeit wieder erlangen. Wir wollen den Leuten klarmachen: Wir sind in einer Krise. Die Leute müssen verstehen, dass irgendetwas falsch läuft in dieser Gesellschaft, wenn so viele Menschen den Bundesplatz in Bern besetzen und einen Strafregistereintrag riskieren. Da kann doch etwas nicht stimmen. Wir wollten, dass es einen Aufschrei gibt, dass die Leute in ihrem Alltag innehalten – und daran denken, dass es einen Kurswechsel braucht.

Die Klimastreiks und Demos von jungen Leuten kennt man ja schon länger. Eine neue Qualität war, dass Sie bewusst Regeln verletzt haben. Warum?

Mit den Demos haben wir nicht mehr genug erreicht. Wir hatten nur noch eine Seitenspalte in den Zeitungen. Das reicht nicht, um die Krise zu bewältigen, die Leben aufs Spiel setzt. Ja, wir mussten uns Gehöre verschaffen, auch wenn es illegal ist. Damit wollen wir ansprechen, dass die Grenzen, die uns das System setzt, einfach falsch sein müssen. Dass wir illegal werden müssen, obwohl wir demokratisch sein wollen, während andere auf dem Finanzplatz Leben gefährden und nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

Viele Leute finden eigentlich gut, was Sie machen. Doch viele haben Mühe damit, dass zu illegalen Mitteln gegriffen wurde. Haben Sie keine Angst, dass Sie den Goodwill aufs Spiel setzen und damit auch Ihren Kampf für ein besseres Klima?

Ich habe vor allem Angst, dass ich nicht mehr leben kann in Zukunft, und auch meine Kinder nicht. Wenn wir nur auf den Goodwill der Menschen schauen und dafür eine schlimme Zukunft haben vor uns, reicht das nicht. Dann lieber den Goodwill verlieren. Für mich ist es wichtig, den Leuten zu erklären, warum wir das illegal machen – und dass wir dieselben netten und fröhlichen Menschen sind wie an den Demos. Aber es ist eben dringend jetzt. Und das wollen wir rüberbringen.

Wenn der Amazonas einmal abgeholzt ist, wenn der Permafrost einmal aufgetaut ist, dann gibt es eine Spirale, die immer weiter aufsteigt. Dann können wir nicht mehr einfach innenhalten. Das heisst: jetzt oder gar nicht.

Es ist ja nicht nichts passiert in Sachen Klima. Heute wurde ein neues CO2-Gesetz verabschiedet. Die Grünen sagen, das sei ein erster Schritt, reiche aber noch nicht. Und sogar Greenpeace, die Euch auf dem Bundesplatz logistisch unterstützt hat, schreibt: «Ungenügend, aber besser als nichts.» Das sehen Sie offenbar anders?

Da gehen die Meinungen auseinander. Ich denke, es ist ein ganz winziger Schritt vielleicht. Ich bin aber sehr vorsichtig mit Lob. Es ist überhaupt nicht genug. Die Klimagerechtigkeit wird überhaupt nicht respektiert, wir ignorieren unsere Emissionen im Ausland, den Finanzplatz....

...aber es ist ein erster Schritt. Das gehört doch zu unserem System, dass man Schritt für Schritt vorwärtsgeht?

Das Klimasystem denkt eben etwas anders. Es ist nicht wie eine Treppe, wo man Schritt für Schritt weitergehen kann und immer anhalten kann, wenn man Lust hat. Es gibt Kipp-Punkte in diesem System. Wenn der Amazonas einmal abgeholzt ist, wenn der Permafrost einmal aufgetaut ist, dann gibt es eine Spirale, die immer weiter aufsteigt. Dann können wir nicht mehr einfach innehalten. Das heisst: jetzt oder gar nicht.

Wollen Sie das politische System ändern?

Ich glaube, wir müssten einiges ändern in diesem System, gerade in der Politik. Es müsste transparenter sein, wir müssen mehr Partizipation haben. Die Wirtschaft müsste mehr darauf ausgerichtet sein, Leben zu erhalten, statt ein paar wenigen Profit zu bringen. Es braucht ein grosses Umdenken. Dazu gehören nicht nur Politik, Wirtschaft, Energiesystem oder Mobilitätssysteme, sondern auch die landwirtschaftlichen Systeme.

Das Gespräch führte Gion-Duri Vincenz.

Tagesschau vom 25.09.2020, 18 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel