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Islamistische Propaganda 11-Jähriger im Wallis unter Terrorismusverdacht

Die Kantonspolizei hat einen Jungen angehalten, nachdem er islamistische Hassbotschaften in Sozialen Medien postete.

Es ist der bisherige Tiefpunkt einer ganzen Reihe von Fällen seit Anfang Jahr: Immer jüngere Menschen sprechen offensichtlich auf islamistische Propaganda an, wie die Schweizer Sicherheitsbehörden mehrfach betont haben.

Das Jugendgericht Sion bestätigt nun Recherchen von SRF und RTS, wonach die Polizei Anfang Juni bei einem 11-Jährigen interveniert hat. Der Junge sei von der Kantonspolizei im Zusammenhang mit der Publikation von «rassistischen und diskriminierenden Inhalten in sozialen Medien» befragt worden, so das Jugendgericht.

Kontakt zu extremistischen Bewegungen im Ausland

Der 11-Jährige habe zugegeben, mit Personen im Ausland in Kontakt gestanden zu haben, die vermutlich extremistischen Bewegungen naheständen. Welche Bewegungen gemeint sind, präzisiert das Jugendgericht nicht. Doch gemäss Informationen von RTS und SRF gehen die Behörden von einem klar islamistisch-dschihadistischen Kontext aus.

In den bisher in der Schweiz publik gewordenen Fällen islamistischer radikalisierter Jugendlicher seit Januar 2024 war die jüngste Person 14 Jahre alt.

Das sind die Schweizer Fälle: Elf Strafverfahren laufen

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Zürich : Ein 15-jähriger Schweizer mit tunesischen Wurzeln greift einen erkennbar jüdisch-orthodoxen Mann an, verletzt ihn schwer. Der mutmassliche Täter bekannte sich zur Terrororganisation IS. Diese lobte seine Tat in ihrer Propaganda. Zudem wurden einige Tage vor der «Pride» im Juni 2024 ein 14- und ein 17-Jähriger festgenommen. Sie stehen unter Verdacht, einen Anschlag auf die LGBTQ-Veranstaltung geplant zu haben, gemäss der «NZZ» mit einem Lastwagen.

Genf und Waadt : In beiden Kantonen werden im März insgesamt vier Jugendliche festgenommen. Sie sind zwischen 15 und 17 Jahren alt. Die Ermittlungen laufen international, es gab auch Festnahmen in Frankreich und Belgien. Berichtet wird dort über Anschlagsideen gegen ein Konzertlokal in Brüssel.

Ostschweiz : Ende März kommt es zu Festnahmen eines 15- und eines 16-Jährigen im Kanton Schaffhausen sowie eines 18-Jährigen im Kanton Thurgau. Die drei Fälle sind verbunden und weisen Bezüge zu Deutschland auf, dort wurden ebenfalls Jugendliche festgenommen. Zusammen mit den Schweizern unterhielten sie sich in einem geschlossenen Chat gemäss Medienberichten über Anschlagplanungen.

Wallis : Anfang Juni kommt es zur Polizei-Intervention beim erwähnten 11-Jährigen. Ob der Fall in Verbindung mit anderen Verdächtigen in der Schweiz steht, ist offen.

Die Walliser Behörden haben gegen den 11-Jährigen, dessen Staatsbürgerschaft sie nicht angeben, ein Verfahren nach Jugendstrafrecht eröffnet. Es gilt die Unschuldsvermutung. Der Jugendliche befindet sich auf freiem Fuss, offenbar wurden sozialpädagogische Massnahmen eingeleitet. Wie weit der Jugendliche radikalisiert ist, scheint für die Walliser Behörden offen zu sein. Das sei bislang nicht sichtbar. Laut dem Jugendgericht laufen weitere Abklärungen.

Jugendforensiker: «Fall mit 11-Jährigem ist aussergewöhnlich»

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Leonardo Vertone ist Chefpsychologe und Co-Leiter des Zentrums für Kinder- und Jugendforensik in Zürich. Im Kurzinterview schätzt er den Fall ein.

SRF News: Wie aussergewöhnlich ist dieser Fall?

Leonardo Vertone: Er ist insofern aussergewöhnlich, als man mit elf noch ein Kind ist. In unserer Praxis treffen wir auf 14-jährige Jugendliche und ältere, meistens männlich. Diese sind bereits in der Pubertät. Mit elf ist man das noch nicht. Das treffen wir sehr selten an.

Kann man bei 11-Jährigen überhaupt von einer Radikalisierung sprechen?

Da wäre ich vorsichtig. Radikalisierung ist ein Prozess, und der fängt meist kurz vor der Pubertät, aber insbesondere dann auch in der Pubertät an. Für eine Radikalisierung braucht es ein gewisses Bewusstsein für gesellschaftliche Zusammenhänge. Das hat ein 11-Jähriger noch nicht.

Die Walliser Behörden haben Grund für eine Intervention gesehen. Wie beurteilten Sie das generell?

Ich finde es gut, dass man hinschaut. Es ist eine grosse Herausforderung zu beurteilen, ob da etwas Ernsthaftes dahinter steckt oder ob es gar nicht nötig ist, genauer hinzuschauen. Und dann ist es eben auch gut, dass man früh hingeschaut hat, dass man präventiv schon Angebote und Kontrollinstanzen umsetzen kann.

Das Gespräch führte Daniel Glaus.

Möglich ist, dass der 11-Jährige in den sozialen Medien sehr schnell in Kontakt mit radikal-islamistischen Inhalten gekommen ist, so auch die Verbindungen zu Extremisten im Ausland entstanden sind und der Jugendliche dann entsprechende Inhalte weiterverbreitet hat. Solche Verläufe sind aus der Fachwelt zuletzt immer wieder zu hören.

Person, die auf Tastatur tippt.
Legende: Der Minderjährige ist den Walliser Behörden durch seine Hassbotschaften in Sozialen Medien aufgefallen. IMAGO/Pond5 Images

Auffälliges Verhalten mit extremistischen Inhalten, wie beispielsweise Hakenkreuz-Schmierereien in Schulhäusern oder islamistische Parolen auf dem Pausenplatz kommen immer wieder vor, wie aus der Fachwelt zu hören ist. Es gebe Dutzende Fälle von Jugendlichen – meist ab 14 Jahren –, die dann oft abgeklärt würden. Auch im Walliser Fall stellt sich die Frage, aus welchen Gründen der Junge diese Posts abgesetzt hat und ob das Risiko besteht, er könnte zu Gewalttaten schreiten. Dafür sind gegebenenfalls jugendforensische Gutachten nötig.

Terrorgefahr wird vom «Islamischen Staat» geprägt

Klar scheint, dass die Behörden auf die Posts des 11-jährigen Wallisers aufmerksam wurden und sich zum Eingreifen entschieden haben. Dies wohl auch vor dem Hintergrund einer zuletzt gestiegenen Terrorismusgefahr, die gemäss Behörden von dschihadistischer Propaganda, etwa eines «Islamischen Staates» (IS), geprägt werde.

Ausschaffung von sieben terroristischen Gefährdern pendent

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Es war ein Asylsuchender, der längst hätte ausgeschafft werden müssen: Der mutmassliche Attentäter von Solingen hat die Debatte über den Vollzug von Ausweisungen neu entfacht, auch in der Schweiz. Bei Personen, die Terror-Bezüge aufweisen – etwa Verurteilungen wegen Unterstützung des IS und einer weiter bestehenden Gefährdung der inneren Sicherheit – kann das Bundesamt für Polizei Fedpol Ausweisungen anordnen. Es liegt an den Kantonen, diese dann zu vollziehen.

2023 ordnete das Fedpol vier Ausweisungen an. Insgesamt sind in den letzten Jahren aber mehrere Ausweisungen im Bereich von Terrorismus nicht vollzogen worden: Sieben Fälle sind teils seit mehreren Jahren pendent. Die Personen sind also noch in der Schweiz, teilte das Fedpol auf Anfrage mit.

In einem der langwierigsten Fälle gibt es zuletzt offenbar Bewegung: Der als «Rollstuhl-Bomber» in den Medien bekannt gewordene verurteilte Iraker aus Schaffhausen befindet sich in Ausschaffungshaft, das berichtet der «Blick». Er soll in sein Heimatland gebracht werden. Falls tatsächlich umgesetzt, wäre das ein Beispiel, dass auch Ausschaffungen in Länder möglich sind, die teils als nicht sicher gelten. Der Mann war 2014 verhaftet und später verurteilt worden. Zuletzt stand er auch im Verdacht, in die Radikalisierung von Jugendlichen im Kanton Schaffhausen involviert gewesen zu sein. Dort wurden im März zwei Minderjährige festgenommen (siehe Box oben).

Bei Personen, die als terroristische Gefährder gelten und die nicht ausgeschafft werden können, haben die Behörden die Möglichkeit, polizeiliche Massnahmen zur Bekämpfung von Terrorismus (PMT) anzuwenden. Dazu gehören die Meldepflicht, Kontakt- und Rayonverbote, eine Art Hausarrest oder die Ausschaffungshaft. 2023 wurden solche PMT gemäss Fedpol in fünf Fällen verfügt.

Dass auf diese Propaganda auch sehr junge Menschen ansprechen, die Inhalte weiterverbreiten, teils Anschlagsplanungen starten oder sogar zur Tat schreiten, hat sich europaweit bereits mehrfach gezeigt.

Tagesschau am Mittag, 06.07.2024, 12:45 Uhr

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