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Jung und Alt - Schutz vor Corona
Aus Echo der Zeit vom 09.10.2020. Bild: imago
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Isolation von Risikopersonen Corona: Massnahmen für die Mehrheit zum Schutz einer Minderheit?

Nur noch die Gefährdeten schützen. Das fordern amerikanische Wissenschaftler. Doch die Strategie ist höchst umstritten, auch bei den Schweizer Experten Marcel Tanner und Pietro Vernazza.

Wie wäre es, einen Shutdown oder gar einen Lockdown zu verhindern, aber gleichzeitig die Zahl der Hospitalisierungen und Todesfälle niedrig zu halten?Und dabei möglichst vielen möglichst viele Freiheiten zu lassen und einen Schritt weiter in Richtung Herdenimmunität zu kommen.

Wie steht es um die Chance auf eine Herdenimmunität beim Coronavirus? Also auf so viel Immunität gegen das Virus in der Bevölkerung, dass sich das Virus nicht mehr weiterverbreiten kann?

Nicht so einfach wie bei Masern

Marcel Tanner, Experte für Public Health und Mitglied der Science Task Force des Bundes, sagt: «Es hat sich gezeigt, dass die Immunantwort, also der dauernde Schutz durch das Immunsystem, nicht so ideal ist wie etwa bei einer Maserninfektion. Da sind Sie einmal infiziert, überleben die Krankheit und sind lebenslang geschützt. Das ist bei Corona nicht der Fall.»

Es ist also nicht so einfach wie bei Masern. Wie lange eine Immunität gegen Corona nach einer Infektion hält und warum sie bei manchen Menschen stärker ist, dazu erschienen in den vergangenen Wochen immer wieder wissenschaftliche Studien. Sie scheinen sich aber in ihren Ergebnissen zu widersprechen.

Braucht es also noch mehr Forschung? Tanner sagt: «Man hat nie genug Daten, um alles zu verstehen. Aber man hat immer genug Daten, um bereits eine Entscheidung für die öffentliche Gesundheit zu lancieren.»

Zu starke Dynamik

Tanner ist überzeugt, dass das, was man weiss, schon eine Entscheidung für den Moment ermöglicht. Derzeit sei es zu früh, um die Massnahmen für die Mehrheit zu lockern und nur noch die Risikogruppen zu schützen: «Ich würde jetzt nicht alles aufheben und nur noch die Vulnerablen schützen, weil wir noch in einer Situation stehen, in der wir noch eine hohe Übertragungsrate haben.»

Ohne Massnahmen würde nach Einschätzung von Tanner das Infektionsgeschehen zu sehr an Dynamik gewinnen. Den Vorschlag, Risikogruppen basierend auf den bisherigen Erfahrungen besser zu schützen, wischt er dennoch nicht vom Tisch: «Weil wir eben keinen Lockdown wollen, würde ich schauen, wie wir die vulnerablen Gruppen besser schützen können.»

Konkret schlägt Tanner vor: «Altersheime mit Stockwerken, auf denen sich die Leute frei bewegen können und anderen Etagen, wo grössere Vorsicht bei Besuchen gemacht wird. Das sind alles machbare Lösungen im Alltag.»

Sind Ältere tatsächlich stärker gefährdet?

An der Diskussion um Herdenimmunität und Schutz von Risikogruppen ist auch Pietro Vernazza, Infektiologe am Kantonsspital St. Gallen, beteiligt. «Das Wichtigste ist auch jetzt, dass wir die Überlastung des Gesundheitssystems im Auge haben und dass wir das auf jeden Fall verhindern.» Er fordert aber, dass noch besser untersucht werden müsse, wie viel stärker ältere Menschen und andere Risikogruppen tatsächlich durch das Coronavirus gefährdet seien.

«Wie viel höher das Risiko bei älteren Personen ist, das wissen wir nicht so genau. Mir scheint, dass wir diese Gefahr etwas überschätzen.» Es gebe, vermutet Vernazza, eine Dunkelziffer an milden Fällen, auch unter älteren Personen und in Risikogruppen. Er plädiert deshalb für ein besseres, genaueres Monitoring, um zukünftige Entscheidungen zu Corona auf eine noch solidere Grundlage zu stellen.

Pro Senectute sieht Vorschläge kritisch

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Legende: SRF

SRF News: In den USA haben Wissenschaftler vorgeschlagen, nur noch die Gefährdeten zu schützen. Was halten Sie davon?

Peter Burri: Wir von Pro Senectute haben da grosse Fragezeichen. Das basiert ja darauf, dass sich vor allem die älteren Menschen, die einem Erkrankungsrisiko ausgesetzt sind, wegsperren, einschliessen und sich separieren müssen. Andere Massnahmen zum Schutz dieser Personen gibt es in diesem Vorschlag nicht.

Wegsperren klingt brutal. Ist denn eine räumliche Isolation aus medizinischen Gründen nicht sozial verträglich möglich?

Wir haben ja gesehen in diesem Mikrokosmos der Altersheime, dass ein Wegsperren oder sich Schützen in Isolation sehr schwierig ist, weil wir eine durchlässige Gesellschaft sind. Als Beispiel: Wie wollen Sie das machen bei einem Ehepaar im Pensionsalter, wobei der Mann gesund ist, die Frau aber Risikopatientin? Die räumliche Separierung ist ein Problem.

Weil die Ansteckungszahlen wieder stark steigen, steigt auch die Gefahr für die Risikogruppen. Wie sollen da noch soziale Kontakte stattfinden ohne Isolation?

Wir haben ja jetzt gemerkt, dass es immer wieder Situationen gibt, in denen sich die Leute mehr anstecken. Das hat nicht unbedingt damit zu tun, dass sie sich anders verhalten, sondern dass eben die Distanz- und Hygiene-Massnahmen zu wenig gut eingehalten werden, wo es eine Durchmischung gibt etwa durch vermehrtes Reisen. Wir wissen heute, dass wir diese neue Normalität nur konsequent zusammen leben können und uns täglich damit auseinandersetzen müssen.

Wie müssten die Altersheime vorbereitet sein, damit die Menschen, die dort leben, geschützt sind?

Wir haben aus der ersten Phase dieser Pandemie gelernt, dass die Altersheime mit diesem Spagat, die Menschen zu schützen, zu isolieren und trotzdem soziale Kontakte zu ermöglichen, überfordert waren, wegen der Infrastruktur und den Ressourcen. Hier gilt es zu lernen und nun diese Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Also nicht nur mehr Platz, sondern auch mehr Schutzmassnahmen. Und das geht nicht, wenn man nicht mehr Unterstützung vielleicht auch vom Bund für diese Institutionen erhält. Wir haben das bei den Spitälern gesehen, mit dem Einsatz von Zivilschutz und der Armee. Vielleicht müsste man sich diesbezüglich auch für Altersheime einen zusätzlichen Support überlegen.

Echo der Zeit, 09.10.2020, 18:00 Uhr;

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