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Jugendliche Flüchtlinge Berner Asylwesen am Anschlag

Es kommen immer mehr jugendliche Flüchtlinge. Viele bräuchten psychologische Hilfe. Doch: Die Institutionen sind voll.

«Die Situation ist momentan sehr schwierig», sagt Silvio Imhof, Präsident der KESB Emmental. Die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde ist für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge zuständig. Im Emmental sind besonders viele der sogenannten UMA (unbegleitete minderjährige Asylsuchende) untergebracht.

So viele jugendliche Flüchtlinge wie noch nie

Die meisten UMAs kommen aus Afghanistan – aktuell sind es im Kanton Bern 180. Jeden Monat kommen 50 neue dazu – so viele wie noch nie. Viele von ihnen haben psychische Probleme – einige so drastisch, dass sie eigentlich eine intensive Betreuung bräuchten.

Zwei minderjährige Flüchtlinge sitzen in einem Aufenthaltsraum.
Legende: KEYSTONE/Salvatore Di Nolfi

Viele der Jugendlichen hätten auf ihrer Flucht Traumatisierendes erlebt, sagt Imhof. «Die Jugendlichen sind auf den Fluchtwegen Übergriffen schutzlos ausgeliefert.» Oft werde die Situation der Jugendlichen ausgenutzt. Diese Erlebnisse würden Angst und Panik hinterlassen.

«Die Jugendlichen haben teilweise Backflashs. Sie werden zurückversetzt in dramatische Situationen, in denen es ums Überleben ging.» Einige würden dann auch hier in der Schweiz in extreme Verhaltensmuster aus dieser Zeit zurückfallen, so Silvio Imhof.

In Kollektivunterkünften und Wohnheimen kommt es deshalb auch zu Gewalt unter den unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen. «Es kommt zu einer Selbst- und Fremdgefährdung», sagt Imhof.

Psychisch instabile Jugendliche müssten daher aus seiner Sicht in der Jugendpsychiatrie betreut werden. Die Zahl der betroffenen Jugendlichen nimmt momentan laufend zu.

Ein Junge drückt einen anderen an einen Gitterzaun.
Legende: KESTONE/Christof Schuerpf

Bei der Integrationsdirektion des Kantons Bern geht man davon aus, dass rund fünf Prozent der unbegleiteten jugendlichen Flüchtlinge in einem spezifischen Setting betreut werden müssten. Das heisst: Zwei bis drei neue Fälle pro Monat.

Psychiatrische Versorgung überlastet

Was nach wenig klingt, ist viel: Denn das psychiatrische Versorgungssystem läuft wegen der Folgen der Coronapandemie bereits seit Monaten am Limit. Erst letzte Woche haben die Universitären Psychiatrischen Dienste des Kantons Bern mitgeteilt, dass man fast nur noch Notversorgung leisten könne. Für längere Therapien gebe es Wartelisten – zum Teil mit einer Wartezeit von bis zu einem Jahr.

Die Situation löst eine gewisse Ohnmacht aus.
Autor: Silvio Imhof Präsident KESB Emmental

Nach einer kurzen Krisenintervention gehen die jugendlichen Flüchtlinge daher wieder zurück in die Gastfamilien, in das Wohnheim oder die Kollektivunterkunft. Man versuche betroffene Jugendliche so gut wie möglich abzuschirmen. «Nicht zu grosse Gruppen, wenn mögliche keine Mehrbettzimmer», sagt Silvio Imhof von der KESB Emmental.

«Die Situation löst eine gewisse Ohnmacht aus», so Imhof weiter. Er befürchtet, dass das Betreuungssystem kollabieren könnte. Wenn weiterhin jeden Monat 50 jugendliche Flüchtlinge in den Kanton Bern kommen, dann wäre das aus seiner Sicht Mitte 2023 der Fall.

SRF1, Regionaljournal Bern Freiburg Wallis, 13.12.2022, 17:30 Uhr ; 

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