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Kampf dem Coronavirus Wie die Pizza wird nun auch das Heroin nach Hause geliefert

Das grösste Schweizer Suchtzentrum begeht neue Wege: Es bringt wegen der Coronakrise den Süchtigen den Stoff nach Hause.

Mit dem Fahrrad oder dem Auto liefert das Suchtzentrum Arud (Arbeitszentrum für einen risikoarmen Umgang mit Drogen) derzeit Heroin, Methadon oder Morphin in Zürich aus.

«Diese Hauslieferungen dienen dem Schutz der Patienten», sagt Philip Bruggmann, Chefarzt Innere Medizin bei Arud, in seinem Büro in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofs. «Im Heroinprogramm muss man normalerweise jeden Tag oder jeden zweiten Tag erscheinen. Jedes Mal ist man den Risiken ausgesetzt.» Er spricht damit die Risiken beim Bezug an, aber auch diejenigen in den öffentlichen Verkehrsmitteln.

2000 Patienten mit einer Suchterkrankung betreut die Arud. Das Zentrum wurde von Ärzten kurz vor der Schliessung der offenen Drogenszene am Platzspitz in den 90er Jahren gegründet.

Heroinabhängige sind eine Hochrisikogruppe

Etwa die Hälfte dieser 2000 Patienten sind abhängig von Heroin. Sie gehören zur Corona-Hochrisikogruppe. «Es sind alles Menschen, die eine bis mehrere chronische Erkrankungen haben. Sie gehören deshalb in die Corona-Risikogruppe, obwohl die meisten unter 65 Jahre alt sind.»

Man müsste bei ihnen wahrscheinlich mit sehr schweren Verläufen rechnen, wenn sie sich anstecken würden, so Bruggmann. Darum habe die Institution die ungewöhnliche Massnahme beschlossen. Seit einer Woche macht die Arud solche Heimlieferungen. Sie gibt auch grössere Mengen als sonst an diejenigen Suchtkranken ab, die noch im Zentrum vorbeikommen, zum Beispiel Heroin für sieben Tage.

Die Gefahr einer Überdosis werde dadurch nicht erhöht, sagt Bruggmann. «Es sind alles Leute, die schon lange mit einer Drogenabhängigkeit leben. Sie wissen, wie man mit diesen Substanzen umgehen muss.» Selbstverständlich würden die grösseren Mengen nur jenen gegeben, bei denen das Zentrum das verantworten könne. «Wir beurteilen das individuell.»

Bei sehr vielen Personen sie dies möglich. Die Patientinnen und Patienten, aber auch die Stadt Zürich, sollen so geschützt werden, vor einer offenen Drogenszene. Denn: Bekämen die Leute diese Behandlung nicht mehr, würden sie ihn auf dem Schwarzmarkt zu erhalten versuchen. «Es würde sich wieder eine offene Drogenszene bilden, und das wollen wir verhindern, für die Gesellschaft und in der jetzigen Situation auch, um Ansteckungen zu unterbinden.»

Bund bewilligte das System

Mit diesen Argumenten überzeugte die Arud, die als privater Verein organisiert ist, auch den Bund. Er bewilligte die speziellen Medikamentenlieferungen. Zehn Patienten wurden schon so beliefert. Bruggmann rechnet damit, dass es bald mehr werden.

Auch die städtischen Abgabestellen Zürichs könnten solche Heimlieferungen machen. Bis jetzt sei das aber nicht nötig gewesen, heisst es beim Ambulatorium an der Badenerstrasse auf Anfrage von SRF. Rund 140 Heroinsüchtige werden dort betreut und medizinisch versorgt.

Fixerstübli sind zu

Geschlossen hat die Stadt Zürich aber die Räume, in denen Süchtige bisher unter ärztlicher Aufsicht illegale Drogen konsumierten. Sie sind zu eng, um den jetzt nötigen Abstand einhalten zu können. Dafür wurde der Strichplatz am Depotweg in Zürich Altstetten umfunktioniert.

Diese Umnutzung sei ein Glücksfall, sagt Florian Meyer von der Stadt Zürich, und es geht gut. «Wir konnten feststellen, dass der grösste Teil der Schwerstabhängigen, die wir sonst in der Innenstadt betreuen, neu das Angebot am Depotweg in Anspruch nimmt.» Etwa 180 Menschen konsumieren jetzt täglich dort ihre Drogen, unter hygienischen Bedingungen und mit Ärzten in der Nähe – statt draussen auf der Gasse.

SRF 4 News vom 26.03.2020; 06:16 Uhr

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