Das Bundesgericht hat über zwei ähnliche Fälle beraten. Im einen Fall wurde eine 61-jährige Frau ins Kantonsspital Frauenfeld eingeliefert. Trotz Notoperation verstarb sie am nächsten Tag.
Im zweiten Fall starb im gleichen Spital etwa zwei Jahre später ein 66-jähriger Mann völlig unerwartet nach einer harmlosen Leistenbruch-Operation.
Es gibt Indizien, dass mein Vater noch leben könnte, wären nicht Behandlungsfehler passiert.
Seine Tochter, die anonym bleiben will, sagt: «Mein Papa ist unter unklaren Umständen verstorben. Es gibt Indizien, dass er noch leben könnte, wären nicht Behandlungsfehler passiert.»
Akteneinsicht verweigert
Um sicher zu sein, müsste die Familie alle Akten sehen können. Doch die Thurgauer Behörden verweigerten das in beiden Fällen. Die Verstorbenen hätten nie gesagt, dass sie ihre Ärzte vom Berufsgeheimnis entbinden wollten. Das Thurgauer Amt stützte sich bei seinen Entscheiden auf das Bundesgericht.
Eine der Bundesrichterinnen wollte diese strikte Rechtsprechung jetzt aufweichen. Sie war der Meinung, die Patienten wären in diesen Fällen bestimmt einverstanden, dass ihre Familien in den Akten schauen, ob sie wegen eines Arztfehlers gestorben sind. Schliesslich gehe es nicht um etwas Schambehaftetes.
Ich bin erschüttert. Für einen normal denkenden Menschen ist das Urteil nicht nachvollziebar.
Doch eine Mehrheit der beratenden Richter sah das anders: Patienten müssten sich ihrem Arzt vorbehaltlos anvertrauen können. Dass eine Familie prüfen wolle, ob eine Haftungsklage womöglich Erfolg hätte, sei weniger wichtig als das Arztgeheimnis.
Die Familien könnten ja das Spital verklagen und so an die Informationen kommen, so die Richter.
Unverständnis bei den Klägern
Der Anwalt der Mutter der ersten Patientin, Rolf Thür, zeigte sich mehr als überrascht: «Ich bin erschüttert. Für einen normal denkenden Menschen ist das Urteil nicht nachvollziehbar.»
Auch für die Tochter des anderen Patienten ist das Urteil brutal: «Dass das Gericht sagt, es müsse meinen Papa vor meiner Neugier schützen, tut weh», sagt sie. Sie fühlt sich vom Gericht verhöhnt.
Das Spital nun quasi ins Blaue verklagen, also ohne Einsicht in die Unterlagen, wird sie nicht: «Wenn man sehr reich ist, kann man das vielleicht machen. Aber wir haben diese Möglichkeit nicht.»
Genugtuung bei Thurgauer Behörden
Für den Kanton Thurgau ist das Urteil eine Bestätigung: «Wir haben uns an die bundesgerichtliche Rechtsprechung gehalten – die jetzt auch nicht geändert wurde», sagt die fallführende Anwältin des Kantons Thurgau, Regula Wyder.
Für Patienten ist es wichtig, dass das Vertrauensverhältnis Patient-Arzt über den Tod hinaus bestehen bleibt.
Auch die Schweizer Patientenorganisation findet das Urteil richtig. «Für Patienten ist es wichtig, dass das Vertrauensverhältnis Patient-Arzt über den Tod hinaus bestehen bleibt», sagt Präsidentin Susanne Hochuli.
Womöglich gebe es Dinge in der Krankengeschichte, die man der Familie nicht offenlegen wolle – eine Geschlechtskrankheit etwa, oder ein psychisches Problem. Trotzdem: «Für die Angehörigen ist das Urteil vielleicht schwierig zu verstehen», so Hochuli.
Patientenverfügung empfohlen
Auch Yvonne Gilli von der FMH kann nachvollziehen, wie schwer das Urteil für die Hinterbliebenen ist. Doch für Ärzte und Ärztinnen schaffe es Sicherheit. Beide Organisationen raten, per Patientenverfügung zu regeln, ob und wer nach dem Tod die Akten ansehen darf.
Weil kein solches vorlag, hat die Tochter des verstorbenen Patienten schwer mit ihrem Schicksal zu kämpfen. Für sie ist es schwierig, dass sie nach diesem Bundesgerichtsurteil nie wird herausfinden können, ob ihr Vater aufgrund von falschen Behandlungen gestorben ist.