Er ist der erfolgreichste tschechische Dokumentarfilm aller Zeiten: «Gefangen im Netz» zeigt, wie sich erwachsene Männer im Internet an Kinder und Jugendliche heranmachen, ihnen pornografisches Material schicken, sie erpressen und in manchen Fällen gar zu einem Treffen überreden.
Der Film, der diese Woche erstmals im Schweizer Fernsehen gezeigt und in der SRF-Sendung «Club» diskutiert wurde, hat weltweit eine breite gesellschaftliche Debatte ausgelöst. Die Machart sorgte jedoch auch für Kritik: Drei Schauspielerinnen, die zwar volljährig sind, aber äusserlich sehr kindlich wirken, wurden als Lockvögel eingesetzt. Sie gaben sich im Internet als 12-jährige Mädchen aus, legten sich gefälschte Social-Media-Profile an und wurden innert kürzester Zeit von hunderten Männern kontaktiert, mit denen sie per Skype kommunizierten.
Pavla Klimešová, Produzentin des Films, sagt: Auch wenn diese Methode für Kritik gesorgt habe – in diesem Fall heilige der Zweck die Mittel.
SRF: Wie ist Ihr Team darauf gekommen, den Film auf diese Weise zu produzieren? Das braucht ja ganz schön viel Mut.
Pavla Klimešová: Obwohl ich Polizeiberichte und wissenschaftliche Literatur zum Thema Kindesmissbrauch im Internet gelesen hatte, war ich beim ersten Skype-Anruf absolut schockiert. Wir haben lange überlegt, wie wir das den Leuten zeigen können. Denn uns war klar: Echten 12-jährigen Mädchen können wir das nicht zumuten. So kamen wir auf die Idee für unser Experiment: Dass wir mit volljährigen Schauspielerinnen arbeiten könnten, Identitäten für sie kreieren, ihre Kinderzimmer nachstellen.
Viele Szenen im Film sind schwer anzusehen. Können Sie uns beschreiben, welche Stimmung am Set geherrscht hat?
Ich als Produzentin hatte die Möglichkeit, den Raum zu verlassen, wenn es mir zu viel wurde. Die Schauspielerinnen und andere Crew-Mitglieder konnten das nicht. Das war sehr hart, besonders zu Beginn. Das Schlimmste war, zu sehen, wie schnell die Männer von ‹Hi, wie geht es dir?› dazu übergingen, Fotos von ihrem Penis zu schicken. Und wie rasch sie die Mädchen aufforderten, eigene Nacktfotos aufzunehmen.
Welche Massnahmen haben Sie ergriffen, um die Schauspielerinnen zu schützen? Eine sagt, sie habe immer noch Albträume.
Die Schauspielerinnen hatten die Möglichkeit, einige Test-Anrufe zu machen und dann zu entscheiden, ob sie bei diesem Projekt mitmachen wollen. Wir haben ihnen zudem eine Therapie angeboten, während und nach der Produktion. Ich bin immer noch mit ihnen in Kontakt, drei Jahre nach den Dreharbeiten. Es geht ihnen gut. Sie sagen, sie hätten Narben davongetragen; aber dass sie diese Narben mit Stolz tragen würden, weil sie wüssten, dass dieser Film sehr, sehr vielen Kindern hilft.
Die Machart des Films wurde kontrovers diskutiert, besonders die Lockvogel-Methode. Ihr Team hatte bestimmt viele Diskussionen über ethische Fragen. Welche Argumente haben Sie abgewogen?
Wir wussten, dass unsere Methoden etwas harsch sind – aber auch eine der besten Möglichkeiten, die Leute auf dieses Problem aufmerksam zu machen. Uns war klar: Wenn wir einen Film machen, der eine breite, gesellschaftliche Debatte auslöst, dann können wir wirklich etwas verändern. Und das ist uns gelungen. Dank unseres Films wurden 52 Strafverfolgungen eingeleitet. Wir haben der Polizei das ganze Material zur Verfügung gestellt. In allen Fällen zeigte sich, dass die Männer auch mit echten 12- oder 13-jährigen Kindern Kontakt hatten. Darum wissen wir, dass wir das Richtige getan haben.
Wie hat die Arbeit an diesem Film Sie verändert, als Filmemacherin , aber auch als Mensch?
Umso länger wir daran arbeiteten, desto klarer wurde mir, wie wichtig dieses Thema ist. Seither ist es schwierig für mich, an etwas zu arbeiten, das keinen sozialen Wert hat, wie etwa ein Werbefilm. Dann fällt es mir schwer, mich dafür zu begeistern.
Aus Ihrer Sicht: Was muss geschehen, um Kinder vor diesen Gefahren im Netz zu schützen?
Ich glaube, es ist wichtig, zu verstehen, dass es nicht der richtige Weg ist, Kindern das Internet oder Smartphones zu verbieten. Sie werden sowieso damit konfrontiert. Das Wichtigste ist, mit ihnen darüber zu sprechen, was sie im Internet tun sollen und was nicht. Und dass sie, falls es doch zu einem Vorfall kommt, das Vertrauen haben, darüber zu sprechen. Auch als Gesellschaft müssen wir diese Diskussion führen, zum Beispiel in den Schulen, damit die Kinder darauf vorbereitet sind. Denn diese Probleme werden nicht verschwinden.
Das Gespräch führte Barbara Lüthi.