Das Arbeitsklima am Bundesstrafgericht ist miserabel. 53 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichten von Folgen auf ihre psychische und physische Gesundheit: Schlafstörungen, Verlust der Freude an der Arbeit, Stress oder Übelkeit sind nur einige davon, die Liste der Leiden ist lang. Das geht aus der Analyse einer externen Fachperson hervor, die SRF und der «Republik» vorliegt.
Ein anderes Beispiel sind die Untersuchungen zum Vorwurf des Sexismus am Bundesstrafgericht. Bislang gab es zwei aktenkundige Meldungen von Mitarbeitenden wegen Sexismus. Die Recherchen zeigen nun, dass mindestens vier Fälle gemeldet wurden. Die Vorwürfe richten sich in allen vier Fällen gegen den gleichen Bundesstrafrichter: Martin Stupf, Präsident der Strafkammer des Bundesstrafgerichts. Für ihn gilt die Unschuldsvermutung.
Beschuldigter fühlt sich angegriffen
Schon als das Bundesgericht die Zustände in Bellinzona vor einem Jahr untersuchte, war Martin Stupf namentlich unter dem Kapitel Sexismus aufgeführt. Er habe einer Gerichtsschreiberin gesagt, dass sie sich «nicht schwängern lassen solle». Weil es zu einer Entschuldigung kam, wird dieser Fall vom Bundesstrafgericht als erledigt betrachtet. Nun zeigt sich: Neben einer weiteren Gerichtsschreiberin erhoben zwei weitere Frauen Vorwürfe gegen den Bundesstrafrichter.
Eine Mitarbeiterin des Gerichts sei während eines Betriebsausfluges von Stupf als «verfügbar» bezeichnet worden, als sie mit einem Kollegen den Tisch verliess. Gegenüber einer anderen habe er bei einem Business-Lunch in Anwesenheit ungebührliche Bemerkungen gemacht, begleitet von Selbstbefriedigungsgesten. Mit diesen Vorwürfen konfrontiert, gab Bundesstrafrichter Stupf an, dass er jegliche Form von Frauenfeindlichkeit und Sexismus verachte und er derartiges Verhalten vollumfänglich ablehne. Aus den beiden erledigten Fällen habe er aus seinem Verhalten Lehren gezogen.
Es handle sich bei den wiederholt und neu erhobenen Vorwürfen um den Versuch einer erneuten persönlichen Abrechnung von ehemaligen Mitarbeitenden des Bundesstrafgerichts. «Es sind unter anderem bösartige und orchestrierte Angriffe auf meine Würde und Integrität», hielt Martin Stupf fest. Die Frauen meldeten die Fälle.
Opfer wurden nicht befragt
Zwischenzeitlich wurden drei Gerichtsschreiberinnen der Verantwortung von Martin Stupf als Präsident der Strafkammer entzogen und direkt der Gerichtsleitung unterstellt, wegen eines totalen Vertrauensbruchs nach diesen Meldungen. In dem Analysebericht der externen Fachperson fanden sie aber keine Beachtung. Zudem wurden die Opfer im Rahmen der Analyse nicht befragt. Das entspricht nicht den Standesregeln für eine Untersuchung zu Sexismus. Silvia Frei, Präsidentin des Bundesstrafgerichts, antwortet auf diesen Vorwurf, dass die Entscheidung des Vorgehens und wer kontaktiert wurde, in der Verantwortung der externen Fachperson liege.
Darauf «durfte kein Einfluss genommen werden, um die Unabhängigkeit der Untersuchung nicht zu gefährden». Im Übrigen habe sich der Vorwurf der sexuellen Belästigung nicht erhärtet.
Es gibt auch weitere Beispiele für die Probleme am Gericht. Etwa dass ein Bundesstrafrichter, der inzwischen im Ruhestand ist, unter psychischen Problemen litt, sich verfolgt fühlte. Schon als er noch in Bellinzona tätig war, gab es Meldungen über sein absonderliches Verhalten. Am Gericht wurde ihm sogar eine Waffe abgenommen. Dennoch amtet der Mann weiter als Bundesstrafrichter. Als Vorsichtsmassnahme werden ihm erfahrene Gerichtsschreiber zugewiesen.
Das Problembewusstsein sei hoch
Auf diese Informationen angesprochen hält Bundesstrafgerichts-Präsidentin Silvia Frei fest, dass keine der mit ihm in einem Spruchkörper mitgewirkten Richterpersonen oder Gerichtsschreiber bezüglich seiner persönlichen Geeignetheit als Richter Zweifel gehabt habe. Trotz dieser Antworten bleibt der Vorwurf im Raum, dass die Vorgänge am Bundesstrafgericht nach wie vor nicht vollständig aufgeklärt wurden.
Präsidentin des Bundesstrafgerichts ist Silvia Frei. Sie war zum Zeitpunkt der Sexismus-Meldungen auch Ombudsfrau am Bundesstrafgerichts. Den Abgang von einer der drei Gerichtsschreiberinnen, welche Meldung erstattet hatten, kommentierte sie intern in einem Mail mit den Worten «ein Problem weniger 😊». Damit konfrontiert gab Frei an, sie weise die ihr unterstellten Äusserung in aller Form zurück. Das Problembewusstsein sei bei allen involvierten Stellen sehr hoch gewesen.
Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Bundesstrafgericht gibt es einen Lichtblick. Die vom Gericht schon vor einem Jahr angekündigte Mediation soll endlich bald beginnen.