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Klimasünderin Schweiz? «Ähnliche Länder sind viel nachhaltiger»

Die Schweiz gilt als Musterschülerin in Sachen Nachhaltigkeit. Bis jetzt: Der Sustainable Development Index hat nun erstmals untersucht, welche Kosten wir durch unseren Konsum und unseren Lebensstandard in anderen Ländern verursachen (Spillover-Effekte): Und hier belegt die Schweiz den unrühmlichen letzten Platz. Mitautor Guido Schmidt-Traub sieht grossen Handlungsbedarf in der hiesigen Wirtschaft.

Guido Schmidt-Traub

Nachhaltigkeits-Experte

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Er ist geschäftsführender Direktor des UN Sustainable Development Solutions Network in Paris. Das Netzwerk sammelt technische und wissenschaftliche Expertise für die Umsetzung des Klimaschutzes und der UN-Nachhaltigkeitsziele.

SRF News: Warum schneidet die Schweiz bei den Spillover-Effekten besonders schlecht ab?

Guido Schmidt-Traub: Am meisten fallen die handelsbezogenen Spillovers ins Gewicht. Die Schweiz importiert viele energieintensive Produkte. Das erzeugt Treibhausgas-Emissionen in anderen Ländern, die der Schweiz formal nicht zugerechnet werden. Das versuchen wir über diesen Index zu korrigieren.

Die zehn grössten Kostenverursacher

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1. Schweiz

2. Singapur

3. Luxemburg

4. Vereinigte Arabische Emirate

5. Mauritius

6. Niederlande

7. Kuwait

8. Grossbritannien

9. USA

10. Norwegen

(Quelle: Bertelsmann-Stiftung/Sustainable Development Network)

Alle europäischen Länder tragen zu der Entwaldung, zum Verlust der Artenvielfalt in anderen Ländern über unsere Konsumnachfrage, besonders an Lebensmitteln oder Kosmetika, bei. Ein weiterer Punkt sind die negativen Auswirkungen des Handels mit Landwirtschaftsprodukten im Bereich Stickstoffdüngemittel, der grosse Schäden im Ausland hervorrufen kann.

Auffällig bei der Rangliste ist, dass mit der Schweiz, Singapur und Luxemburg gleich drei kleine, international aber sehr vernetzte Volkswirtschaften am schlechtesten abschneiden. Wie ist das zu erklären?

Das sind kleine, sehr stark vernetzte Staaten mit einem sehr hohen Lebens- und Konsumniveau. Die Schweiz muss viele Produkte importieren. Volkswirtschaftlich macht das Sinn, aber wenn diese Produkte aus nicht nachhaltigen Methoden im Bereich Soziales, Finanzen und Umwelt stammen, dann wird das nach unserer Methodik der Schweiz gutgeschrieben.

Sustainable Development Goals (SDGs)

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Was als historischer Gipfel begann, könnte als reines Lippenbekenntnis enden. Vor vier Jahren haben sich 193 Staaten auf die Umsetzung der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs) geeinigt. Die Bekämpfung von Armut und Hunger gehört ebenso dazu wie die Verpflichtung zu mehr Klimaschutz oder besseren Bildungschancen. Dieses Jahr wollen die Staats- und Regierungschefs erstmals für eine Zwischenbilanz zusammenkommen.

Die Ergebnisse dürften ernüchternd ausfallen: Die aktuelle Ausgabe des SDG-Reports zeigt, dass kein Land auf dem Weg ist, alle Ziele bis 2030 zu erfüllen. Die Berechnungen des SDG-Reports basieren auf verschiedenen Datenbanken, unter anderem von Eurostat, der OECD und den Vereinten Nationen und berücksichtigt bis zu 114 Einzelindikatoren pro Land.

Die Industrieländer spielen bei der Umsetzung eine zwiespältige Rolle: Einerseits kommen sie der Erfüllung der Ziele am nächsten. Andererseits verursachen sie durch Konsumvorlieben und Lebensstandards hohe ökologische und wirtschaftliche Kosten für Drittländer. Das sind die Ergebnisse des aktuellen Sustainable Development Reports, herausgegeben von uns und dem Sustainable Development Solutions Network (SDSN). Mit dem Report messen die Autoren seit 2015, wo die Weltgemeinschaft bei der Umsetzung der Ziele steht.

Zwischen dem Pro-Kopf-Einkommen der Länder und den verursachten Kosten gibt es keinen starken Zusammenhang. Ist das korrekt?

Über alle Länder und Einkommensgruppen hinweg stellt man eine deutliche Korrelation fest. Es gibt aber im Bereich der Länder mit höheren Pro-Kopf-Ausgaben, wo die Schweiz natürlich dazugehört, eine grosse Streuung.

Auch die Schweizer Volkswirtschaft hat sich in der Struktur immer wieder verändert.

Es gibt Länder, die ein ähnliches Wirtschaftsaufkommen wie die Schweiz erreichen, aber mit sehr viel geringeren Spillover-Effekten.

Die Schweiz könnte sich also nachhaltiger verhalten, ohne Wirtschaftseinbussen erleiden zu müssen?

Das gilt für alle Länder. Das sind komplexe Prozesse, die einen grossen Strukturwandel verlangen. Für die gesamte Volkswirtschaft aber ist es möglich, das Ganze mit steigendem Wohlstand und Wirtschaftsaufkommen zu kombinieren. Auch die Schweizer Volkswirtschaft hat sich in der Struktur immer wieder verändert.

Zug in Stall.
Legende: Im Landnutzungs- und Ernährungssystem müssten Veränderungen vorgenommen werden, sagt Schmidt-Traub. Keystone

Im Wesentlichen stehen grosse Änderungen an: Die Transformation im Energiesystem, im Transport, dem ganzen Gebäude- sowie dem Industriesektor. Letztendlich die völlige Entkarbonisierung. Eine zweite Veränderung sollte zu einem nachhaltigen Landnutzungs- und Ernährungssystem führen. Hier gilt es ganz besonders, die Spillover-Effekte zu berücksichtigen, weil wir einen grossen Teil der Nahrung wie Landwirtschafts- und Forstprodukte importieren. Eine dritte wichtige Nachhaltigkeitstransformation ist diejenige der Städte. Dass man ressourcenintensiver und effizienter wird. Da sind aber Schweizer Städte auf einem guten Weg.

Das Gespräch führte Lorenzo Bonati.

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