Homeoffice, Verzicht auf Freunde und Freizeitaktivitäten, Lagerkoller: Die Corona-Krise schränkt die Lebensgewohnheiten von uns allen ein. Doch was ist mit den Menschen, die in ihrer Sucht gefangen sind, die durch das soziale Netz gefallen sind, kaum familiären Rückhalt haben?
Die Lahmlegung des öffentlichen Lebens trifft die gesamte Gesellschaft. Besonders aber Randständige – Alkoholkranke, Drogensüchtige, Sozialfälle. Viele Dienstleistungen werden derzeit nicht mehr angeboten, Orte wie die Stammkneipe oder Anlaufstellen sind bereits zu, oder könnten bald geschlossen werden.
Die Randständigen reagieren sehr unterschiedlich auf die Krisensituation, sagt Rahel Gall von der Stiftung «Contact», die ambulante Lösungen für suchtkranke Menschen anbietet. «Manche schätzen die Gefahr realistisch ein, andere geraten in Panik und schliessen sich ein. Und eine relativ grosse Gruppe hat schlichtweg andere Sorgen.»
Bis jetzt kann «Contact» die meisten seiner Dienstleistungen aufrechterhalten, darunter einen geschützten Arbeitsplatz für 370 Menschen. Hygiene- und Abstandsregeln würden in den Einrichtungen so gut es geht eingehalten. «Es braucht Pragmatismus und viel Phantasie. Wir kleben zum Beispiel Abstandslinien auf den Boden.»
Viele Randständige sind älter oder aufgrund ihrer Sucht geschwächt. Für sie stellt das Coronavirus eine besondere Gefahr dar. Dem ist sich auch «Contact» bewusst. «Wer hustet, wird sofort separiert und je nachdem in Selbst-Quarantäne oder zum Testen geschickt. Wir wollen in unseren Betrieben möglichst Ansteckungsketten verhindern», sagt Gall.
Wenn wir die «Fixerstübli» schliessen müssen, ist mit einer Szenenbildung von Dealern und Konsumenten auf der Strasse oder öffentlichen Plätzen zu rechnen.
Sollten «Contact»-Einrichtungen geschlossen werden, könnte das dramatische Folgen für die Betroffenen haben. «Für die Suchtkranken, die bei uns arbeiten, ist diese Arbeit häufig der einzige soziale Kontakt. Viele haben keine Freunde und kein Familiensystem», so die «Contact»-Geschäftsleiterin. «Wenn sie nicht mehr zur Arbeit kommen können, fällt ihnen der Boden unter den Füssen weg.»
Suchtkranken droht soziale Isolation
Auch für Menschen am Rande der Gesellschaft gilt: Distanzhalten, Hygieneregeln befolgen, also Eigenverantwortung. Wer aber nicht mehr in seine Stammkneipe kann, der droht zuhause zu vereinsamen.
Die Alternative: Randständige treffen sich im öffentlichen Raum – alles andere als eine lehrbuchmässige Umsetzung der Verhaltensregeln des Bundesamts für Gesundheit. Das weiss auch Gall. «Diese Menschen sind aber manchmal nicht in der Lage, sich total an die Vorgaben und Regeln zu halten.»
Deswegen will «Contact» unbedingt seine Kontakt- und Anlaufstellen offen halten, wo Süchtige unter hygienischen Bedingungen Drogen konsumieren können – also die «Fixerstübli», wie es sie in vielen Schweizer Städten gibt. «Wenn wir diese schliessen müssen, ist mit einer Szenenbildung von Dealern und Konsumenten auf der Strasse oder öffentlichen Plätzen zu rechnen.»
Schliesslich will Gall auch alles dafür tun, dass das Personal in den Einrichtungen geschützt wird. Auch sie seien mitunter besonders durch das Coronavirus gefährdet und hätten Angehörige, die geschützt werden müssten. «Und ohne unsere Mitarbeitenden können wir auch unsere Betriebe nicht aufrechterhalten.»