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Kodex gegen Missbrauch Konservative Priester proben den Aufstand im Bistum Chur

«Churer Priesterkreis» nennt sich eine Gruppe, die nicht will, dass Homosexualität im neuen Verhaltenskodex erwähnt wird.

Nulltoleranz gegenüber sexuellem Missbrauch und eine offene Haltung gegenüber Homosexualität: Das sind die Grundpfeiler eines neuen Verhaltenskodexes, den das Bistum Chur Anfang April vorgestellt hat.

Doch nun regt sich Widerstand von konservativer Seite. Eine Gruppe von Priestern aus dem Bistum, der nach eigenen Angaben 43 Geistliche angehören, weigert sich, den Kodex zu unterschreiben. Die Kritiker sind mit 95 Prozent des Kodexes einverstanden, also mit allen Massnahmen, die die Missbrauchsprävention betreffen. Es ist der offene Umgang mit Homosexualität, der den Kritikern sauer aufstösst. Im Kodex steht nämlich klar, alle sexuellen Orientierungen seien zu akzeptieren.

Seelsorgerinnen und Seelsorgern ist es verboten, in Gesprächen nach der Sexualität zu fragen. Und wer sich outen will, soll dabei unterstützt werden. Das lasse sich mit der Lehre der römisch-katholischen Kirche nicht vereinbaren, sagt Roland Graf, Sekretär dieses Priesterkreises.

Berufung auf die Heilige Schrift

Denn für ihn ist klar: Offen gelebte Homosexualität widerspricht der Lehre der römisch-katholischen Kirche. «Entscheidend ist, was im Katechismus der katholischen Kirche steht. Dort heisst es schon, dass es sexuelle Neigungen gibt, aber dass das Ausleben dieser homosexuellen Neigungen nicht in Ordnung ist, auch mit Berufung auf die Heilige Schrift.» In der Stellungnahme der Gruppe heisst es denn auch, der Verhaltenskodex sei der Versuch, die «LGBTI-Ideologie unter dem Deckmantel der Übergriffsprävention in der Kirche zu implantieren».

Bischof Joseph Maria Bonnemain, rechts, und Stefan Müller, Präsident der Biberbrugger-Konferenz, beim Unterschreiben
Legende: Bischof Joseph Maria Bonnemain (r.) und Stefan Müller, Präsident der Biberbrugger-Konferenz, unterschreiben den Verhaltenskodex am 5. April im Bischöflichen Schloss in Chur. Der Kodex des Bistums Chur soll für alle, auch führende Mitarbeitende, verbindlich sein. Keystone

Die Kritiker fordern deshalb, dass der Verhaltenskodex zurückgezogen oder zumindest angepasst wird und verweigern ihre Unterschrift. Genau diese Unterschrift verlangt aber Bischof Joseph Bonnemain.

Unkooperativen droht Entlassung

An der Medienkonferenz zum Verhaltenskodex sprach er von einer Schulung für jene, die mit den neuen Regeln Mühe hätten. «Wenn das nicht fruchtet, muss man weitere Massnahmen bestimmen. Zum Beispiel, dass diese Person eine Supervision wahrnimmt, unter Umständen eine psychotherapeutische Begleitung. Wenn das auch nicht hilft, muss man sich am Ende von einem solchen Mitarbeitenden trennen.» Das heisst: Wer den Kodex nicht unterschreibt, muss gehen.

Der Bischof hat sich immer für dialogbereit erklärt. Jetzt kann er zeigen, dass er das ist.
Autor: Roland Graf Sekretär des Churer Priesterkreises

Kritiker Roland Graf glaubt nicht, dass es so weit kommt. «Ich glaube nicht, dass ich in diese Lage komme. Ich habe jetzt wirklich Hoffnung. Der Bischof hat sich immer für dialogbereit erklärt. Jetzt kann er zeigen, dass er das ist.» Tatsächlich zeigt sich Bischof Bonnemain gesprächsbereit. In einem Communiqué lässt er mitteilen, er nehme die Stellungnahme ernst und er werde sich dafür einsetzen, dass eine Klärung stattfinden könne. Wie eine Klärung aussehen könnte, die beide Seiten zufriedenstellt, ist zurzeit allerdings noch nicht absehbar.

Echo der Zeit, 29.04.2022, 18:00 Uhr

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