Rothirsch, Wildschwein, Dachs und Reh wandern von Natur aus. Sie vermehren sich und stellen so ihre genetische Vielfalt sicher. Allerdings versperren die Autobahnen und Eisenbahnen seit den 1960er-Jahren den Wildtieren den Weg, das Wild staut sich an den Wildschutzzäunen der Autobahnen. Es werden zwar seit Jahren in der Schweiz Korridore gebaut, aber nicht alle funktionieren. Millionen teure Bauwerke bleiben ungenutzt, weil Menschen die Tiere verscheuchen.
Wenn Wildtiere nicht wandern können, droht ihren Tierarten Inzucht. «Je kleiner und isolierter die Population, desto grösser ist das Risiko, dass die Art ausstirbt», erklärt die Umweltorganisation WWF. Deshalb arbeiten Bund und Kantone seit fast 20 Jahren an Lösungen.
Seit 2020 ist eine der wichtigsten Wildtierquerungen über die Autobahn A1 offen, jene im Aargau, zwischen Gränichen und Suhr. Es ist fast das letzte grosse Hindernis für Tiere, die von Norden nach Süden wandern möchten. Für 14 Millionen Franken wurde der Übergang über die Autobahn gebaut – und die Wildtiere nutzen ihn, zeigen Aufnahmen des Kantons Aargau.
Es gibt aber zahlreiche Wildtierübergänge oder –unterführungen, die von Tieren gemieden werden. Zum Beispiel die neue Wildtierunterführung in Schinznach Bad (AG). Die Unterführung unter der Hauptstrasse und der Eisenbahnlinie wurde für Wildtiere gebaut, ein Korridor von nationaler Bedeutung, sagt der Bund. Kostenpunkt: acht Millionen Franken. Seit Sommer 2022 ist sie offen und der Zugang mit Holzabschrankungen gesperrt.
E-Bikes statt Hirsch und Reh
Unterdessen ist klar: Die Unterführung funktioniert nicht. Die Tiere meiden den zehn Meter breiten Durchgang, wegen der Freizeitaktivitäten der Menschen dort in der Nähe. Der Kanton hat nämlich Kameras installiert und weiss, wer in der Nähe der Unterführung alles durchgeht: «Es ist erstaunlich, wie die Leute mit Kinderwagen, E-Bikes, usw. die Abschrankung nicht respektieren und sie passieren», sagt Sabin Nater.
Die Leute betreten den Wildtierkorridor mit Kinderwagen oder E-Bikes.
Tafeln weisen die Bevölkerung daraufhin, für wen der Weg zur Unterführung gedacht ist. «Wenn bei einem Wildtierkorridor bis weit in die Dämmerung Jogger mit Stirnlampen oder Spaziergänger mit Hund unterwegs sind, hat das auf die Tiere einen Vergrämungseffekt.»
Die Unterführung in Schinznach sei kein Einzelfall. Auch der Übergang bei der Bahnlinie Rupperswil zum Beispiel wird gemäss Auswertung schlecht genutzt. Hinzu kommen neue Bauten, ausserhalb der Bauzone, die das Wandern der Tiere wieder erschweren. Wenn eine Gemeinde einen Wanderweg eröffnet, zum Beispiel, könne es sein, dass die Korridore der Wildtiere erneut unterbrochen würden, sagt Sabin Nater vom Kanton Aargau.
Wildtierkorridore für Menschen sperren
Es werden aktuell noch weitere Durchgänge für Tiere gebaut. Für jene Korridore, die nicht funktionieren, laufe im Aargau nun ein Sanierungskonzept, heisst es beim Kanton. Man wolle die Menschen besser lenken, damit die Wildtiere doch noch wandern. Ab 2040 gelte es, alle fertigen Korridore zu sichern, damit die Menschen die Zugänge zu Unter- und Überführungen weiträumig umgehen. Informationskampagnen sollen hierbei helfen.
Nebst Reh, Wildschwein und Fuchs nutzen nämlich auch andere Tiere, wie Fledermäuse oder Amphibien, die Durchgänge. Dafür müssen sie aber ungestört wandern können, ohne Störfaktoren wie E-Bikes oder Wanderinnen.