Jedes Jahr veröffentlicht «Transparency International» einen Bericht zur Lage der weltweiten Korruption. Die Nichtregierungsorganisation hat auch in der Schweiz eine Geschäftsstelle mit Martin Hilti an der Spitze.
Wir erfahren regelmässig von Beschaffungsskandalen und das auf allen drei föderalen Stufen
Er fasst den gerade erschienenen Rückblick aufs Jahr 2020 und das Abschneiden der Schweiz im internationalen Vergleich wie folgt zusammen: «Es ist richtig, die Schweiz schneidet im Ländervergleich zwar gut ab, aber bei uns gibt es ebenfalls Korruptionsprobleme – auch im öffentlichen Sektor. Wir erfahren regelmässig von Beschaffungsskandalen und das auf allen drei föderalen Stufen.»
Korruption komme letztlich in jedem Verwaltungszweig in der Schweiz vor. So sei gerade etwa ein kantonaler Kriminalpolizeichef wegen schwerer Bestechung angeklagt. Er soll über mehrere Jahre hinweg einem italienischen Zigarettenschmuggler laufend Informationen über Polizeioperationen verraten haben.
Korruptionsranking 2020 – die 10 Länder mit am wenigsten Korruption
LAND | BEWERTUNG |
Dänemark | 88 |
Neuseeland | 88 |
Finnland | 85 |
Schweiz | 85 |
Singapur | 85 |
Schweden | 85 |
Norwegen | 84 |
Niederlande | 82 |
Luxemburg | 80 |
Deutschland | 80 |
Wie ist Korruption in der Schweiz möglich?
In der Schweiz kennt man sich und ist vernetzt, weil man die gleiche Schule besucht hat oder im gleichen Verein aktiv war. Das kann dazu führen, dass es Bekanntschaften mit Personen gibt, die in einem Unternehmen oder in öffentlichen Ämtern darüber entscheiden, wer einen Zuschlag für einen Auftrag oder sogar einen Job erhält.
Vernetzung sei nicht per se schlecht, könne aber zu Interessenskonflikten führen, sagt Hilti weiter. Für ihn sind öffentliche Verwaltungen gerade deswegen anfällig für Vetternwirtschaft. Das ist problematisch, denn es dürfe nicht sein, dass nicht die am besten geeignete Person einen Auftrag oder eine Anstellung erhalte, sondern jene mit einer persönlichen Beziehung zur Unternehmensführung.
Dehnbare Regeln für öffentliche Ausschreibungen
Zwar gibt es für öffentliche Aufträge und Stellenausschreibungen gewisse Spielregeln, die können aber dehnbar sein. Diese elastische Auslegbarkeit jener Regeln sei ein Problem, sagt auch Caroline Brüesch, die Leiterin des Instituts für Verwaltungsmanagement an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.
Sie sieht noch an einem anderen Ort eine Anfälligkeit für Vetternwirtschaft: «Den grössten Handlungsbedarf sehe ich beim Verhältnis, wie der Staat seine eigenen, öffentlichen Unternehmen führt.» Damit meint die Wissenschaftlerin zum Beispiel die Post oder die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB).
Diesen Unternehmen gibt Brüesch zwar gute Noten, nicht aber kleineren Unternehmen, die für Städte und Gemeinden tätig sind – also zum Beispiel Abfallentsorgung oder Abwasseranlagen. Damit meint sie transparente Ziele und Kosten. Zurzeit arbeiten zahlreiche Verwaltungen daran, ihre Transparenz zu verbessern. Das ist wichtig, denn die Erfahrungen zeigen: Transparenz verhindert auch Korruption.
Korruptionskiller Corona – im Gegenteil
Hilti sieht als Kern von Korruption immer auch einen Missbrauch der jemandem anvertrauten Macht. In Zeiten von Corona konzentriere sich die Macht nochmals aufs Neue. Dementsprechend ist für den Geschäftsleiter von Transparency International Schweiz klar: Die Gefahren für Missbrauch werden durch die Pandemie nicht kleiner – im Gegenteil.