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Krieg in der Ukraine Das ist Propaganda – keine Information

Anfang März wurde die Schweiz, zusammen mit anderen westlichen Ländern, auf eine Liste der «feindlichen» Länder gesetzt. Dies, weil sie sich an den Sanktionen der EU und der USA beteiligt.

Jetzt spielt Russland auf den Mann. Aussenminister und Bundespräsident Ignazio Cassis wird vom russischen Aussenministerium heftig kritisiert, weil er in einem Gastbeitrag für verschiedene Zeitungen geschrieben hatte, der «brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine» habe eine «historische Epoche unseres Kontinents zerstört: der erste Überfall auf ein souveränes, demokratisches Land seit Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939.»

Die Sprecherin des russischen Aussenministers ermahnte den Bundesrat, dass der «Bomben- und Raketenangriff der Nato auf friedliche jugoslawische Städte 1999» die Grundlagen der Nachkriegszeit ausgehöhlt und das Völkerrechtssystem zerstört hätten. Zudem wurde Cassis belehrt, er habe die Erklärungen der russischen Seite «nach weiteren barbarischen Verbrechen des ukrainischen Regimes in Butscha und Kramatorsk» ignoriert und die Verantwortung «rückhaltlos der russischen Seite zugeschrieben».  

Weder Information noch Diplomatie – nur Propaganda

Es soll hier gar nicht der Versuch unternommen werden, den Wahrheitsgehalt der russischen Argumentation zu überprüfen und zu widerlegen; es würde den mittlerweile Tausenden Getöteten und Verletzten des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, den Opfern von Mariupol, Butscha, Borodjanka, Kramatorsk und anderen Orten nicht gerecht. Denn mit Information oder Diplomatie haben diese Aussagen wenig, mit Propaganda sehr viel zu tun.

Die russische Führung versucht mit immer absurderen Argumenten, die Verantwortung für den Krieg den Ukrainern in die Schuhe zu schieben. Die gleiche Sprecherin des Aussenministeriums präsentierte am Montag in einem wirren Fernsehauftritt die These, die Ukraine hätte die Suppe Borschtsch als Nationalgericht bezeichnet und Kochbücher mit anderen Rezepten als dem offiziellen verboten. Sie schloss daraus auf «Fremdenfeindlichkeit, Nazismus und Extremismus in jeder Form» Russland gegenüber.  

Der Versuch, zu spalten und zu destabilisieren

Die jüngste Kritik an Cassis wurde von der russischen Botschaft auf Deutsch verbreitet, inklusive der Aufforderung, die Schweiz solle die Unverletzlichkeit der Neutralität nicht nur für schöne Worte halten: «Auf dieser Grundlage werden wir die wahre ‹Qualität› des neutralen Status der Schweizerischen Eidgenossenschaft beurteilen.»

Das zeigt, dass Russland via die Botschaft in der Schweiz sehr genau informiert ist über die aktuellen hiesigen Diskussionen zur Neutralität und nun auch versucht, die unterschiedlichen Ansichten für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Es ist anzunehmen, dass es nicht der letzte Versuch sein wird, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und letztlich eine Spaltung und Destabilisierung der Gesellschaft zu befördern. Ähnliche, weit folgenschwerere Versuche kennt man aus den USA und teilweise auch aus Deutschland.  

Interessant ist der Zeitpunkt der Kritik an Cassis: Der Aussenminister hatte am letzten Freitag den russischen Botschafter einbestellt und die Kriegsverbrechen in Butscha und Kramatorsk scharf verurteilt. Vier Tage später kam die Verbalattacke aus Moskau. Zufall dürfte das nicht sein.

Urs Leuthard

Leiter Bundeshausredaktion

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Seit Sommer 2020 ist Urs Leuthard Leiter der Bundeshausredaktion von Fernsehen SRF. Bereits seit 2002 moderiert er das «Abstimmungsstudio» und analysiert Wahlen und Abstimmungen. Bis 2008 war er Moderator und Redaktionsleiter der «Arena», danach wechselte er zur «Rundschau», bevor er 2012 die Redaktionsleitung der «Tagesschau» übernahm.

Hier finden Sie weitere Artikel von Urs Leuthard und Informationen zu seiner Person.

SRF 4 News, 11.04.2022, 14:00 Uhr

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