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Kritik an Corona-Taskforce Die Wissenschaft braucht das richtige Gehör – und keinen Maulkorb

Die Öffentlichkeit soll ausschliesslich durch den Bundesrat und das Parlament über die Corona-Massnahmen informiert werden. So will es die Wirtschaftskommission des Nationalrats. Der Beschluss wirft hohe Wellen.

Manche Politiker und Medien kritisieren, das sei ein Maulkorb für die wissenschaftliche Taskforce des Bundes. Doch welche Funktion erfüllt die Wissenschaft bei der Bewältigung der Pandemie, und welche Stimme hat sie?

Taskforce-Vertreter halten sich zurück

Während dieser Pandemie hat der Bundesrat stets selbst über seine Massnahmen informiert. Oft findet zwar ein Tag vor einer solchen Information eine Medienkonferenz des Bundes statt, an der Experten zu verschiedenen Corona-Aspekten Auskunft geben – an diesen Terminen ist aber seit Monaten kein Vertreter der Taskforce mehr dabei.

Man kann das so interpretieren, dass die Wissenschaftler vor einem kommenden Corona-Entscheid des Bundesrats keinen Druck erzeugen sollen – ob gewollt oder ungewollt. Der Vorsitzende der Taskforce hat auch schon lange keine Entscheide des Bundesrats mehr direkt kommentiert. Das letzte Mal geschah dies am 23. Oktober und auch nur, weil Journalisten hartnäckig nachfragten – zu diesem Zeitpunkt stiegen die Fallzahlen gerade steil an.

Das Präventionsparadox

Oft wird der Taskforce vorgeworfen, ihre Szenarien seien zu pessimistisch gewesen, sie seien nicht eingetroffen. Zum Beispiel als sie in der zweiten Welle vor überlasteten Spitälern gewarnt hatte oder jetzt, wo es um die Frage geht, wie schnell sich die neuen Virenvarianten verbreiten werden.

Wissenschaftliche Prognosen liegen tatsächlich manchmal daneben. Aber oft schlägt auch das Präventionsparadox zu: Das heisst, wer nach einer Warnung handelt, kann das Unheil noch abwenden. Wenn man den Wasserhahn noch rechtzeitig zudreht, muss die Badewanne nicht überlaufen. Es ist etwas paradox, wenn man danach dem Warner seinen Warnruf vorwirft.

So war es höchstwahrscheinlich in der zweiten Welle – die Spitäler schrammten an der vollen Überlastung vorbei, weil der Bundesrat schliesslich Massnahmen erliess. Trotzdem kamen danach viele Wochen, in denen die Schweiz eine deutliche Übersterblichkeit registrierte.

Kein privilegierter Zugang zum Bundesrat

Wissenschaftliche Szenarien können komplex sein. Man muss sie erklären. Diese Verantwortung liegt bei den Wissenschaftlern, aber auch bei uns Journalisten. Wenn Forscher Szenarien als solche taxieren und über die Ungenauigkeiten informieren, müssen die Journalisten dies auch tun – und es richtig einordnen, wenn die Realität später von diesen Szenarien abweicht.

Zu arge Vereinfachungen helfen auch nicht, wenn man die Rolle der Wissenschaft in der Pandemie erklärt. Kaum ein Wissenschaftler erwartet, dass der Bundesrat 1:1 umsetzt, was er ihm sagt. Die Taskforce hat keinen privilegierten Zugang zur Regierung, sie wird vom Bundesrat vor Entscheidungen befragt, wie auch die Kantone und Wirtschaftsverbände befragt werden.

Die Wissenschaft ist eine Kraft, die bei der Bewältigung dieser Pandemie hilft, eine wichtige Kraft.

Thomas Häusler

Wissenschaftsredaktor

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Thomas Häusler ist Wissenschaftsredaktor bei SRF. Er hat in Biochemie doktoriert und eine Weiterbildung in Wassermanagement an der Uni Genf absolviert. Seit 2013 ist er Leiter der Wissenschaftsredaktion.

Rendez-vous vom 01.03.2021, 12:30 Uhr

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