Der Brief stammt von 45 israelischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern, die in der Schweiz leben, etwa als Expats. Sie haben sich vergangene Woche an Aussenminister Ignazio Cassis gerichtet.
Mitinitiiert hat den Brief Galia Faingold. Sie lebte fast ihr ganzes Leben lang in Israel, studierte Maschinenbau und ist nach ihrem Doktorat derzeit an der ETH Zürich tätig. Anstoss für den Brief hätten die Erzählungen eines palästinensischen Freunds gegeben, der ebenfalls in der Schweiz lebt. Er schilderte, wie schlimm die Lage in Gaza ist.
Zu ihren Erwartungen an den Bundesrat sagt Galia Faingold, als Ausländerin in der Schweiz halte sie es zwar nicht für ihre Aufgabe, der Schweizer Regierung zu sagen, was diese tun soll: «Aber als Hüterin der Genfer Konventionen und als Land mit starkem diplomatischem Einfluss hoffe ich, dass die Schweiz mehr tun kann. Die aktuelle Situation ist katastrophal – nicht nur für die Palästinenserinnen und Palästinenser, die mit einer humanitären Katastrophe konfrontiert sind, sondern auch für die Israelis, weil sie tiefe moralische Narben in unserer Gesellschaft hinterlässt.»
Als Hüterin der Genfer Konventionen und als Land mit starkem diplomatischem Einfluss hoffe ich, dass die Schweiz mehr tun kann.
Im Brief an Ignazio Cassis steht, dass auch in Israel zunehmend eine moralische Auseinandersetzung mit dem Krieg stattfinde. Galia Faingold nennt den vergangenen März als einen Zeitpunkt, wo eine Veränderung in der Haltung vieler Israelis begonnen hat. Israel hatte da die Waffenruhe gebrochen. «Ab da wurde es immer schwieriger, den Krieg zu rechtfertigen. Der Krieg bringt keine Geiseln zurück. Er bringt keinen Frieden. Und er bringt definitiv keine Gerechtigkeit.»
Mitunterzeichnet hat den Brief auch Inbal Ben Ezer, die mit ihrer Familie seit neun Jahren in Zürich lebt. Sie ist Friedensforscherin und arbeitet ebenfalls an der ETH Zürich. Mit dem Brief sollen die Stimmen der Palästinenserinnen und Palästinenser verstärkt werden, sagt sie. «Und dann soll der Brief auch jene Stimmen in Israel verstärken, die sich nun kritisch gegenüber der aktuellen Politik äussern und ein Ende vom Aushungern als Methode der Kriegsführung fordern.»
Als Israelin, die in der Schweiz lebt, fühle sie sich besonders verpflichtet, aktiv zu werden, sagt Inbal Ben Ezer. Denn in Israel würden viele gar nicht erfahren, was in Gaza tatsächlich passiere, weil in vielen Medien einseitig über den Krieg berichtet werde und die humanitäre Not der Palästinenserinnen und Palästinenser kaum stattfinde. Hier in der Schweiz habe sie einen breiteren Zugang zu Informationen.
Was von der Schweiz erwartet wird
Yves Kugelmann, Chefredaktor der jüdischen Zeitung «Tachles» sagt, kritische Stimmen aus der israelischen Gemeinschaft in der Schweiz gegenüber den jeweiligen israelischen Regierungen seien nichts Neues. Neu sei hingegen, dass sich solche Stimmen als Gruppe öffentlich politisch manifestieren.
Gemäss Yves Kugelmann zeige die Initiative auch, wie die Schweiz gesehen werde: etwa als Depositarstaat der Genfer Konventionen, Anlaufstelle zur Wahrung des humanitären Völkerrechts. Deswegen sei der Brief auch ans Schweizer Aussendepartement gerichtet: «Ein Aussendepartement, das in diesen Tagen zu Nahost laviert – mehr als andere Regierungen.»