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Lawinengefahr und Gesetzbuch «Man muss nicht mit dem Anwalt auf die nächste Skitour»

Sportliche Betätigung in den Bergen ist auch im Sommer beliebt – seien es Wander-, Bike- oder Skitouren. Im alpinen Raum, wo noch Schnee liegt, herrscht oftmals Lawinengefahr. Sterben Menschen in Lawinen, gibt es eine strafrechtliche Untersuchung.

Was heisst das für Bergsteigerinnen und Tourengänger? Antworten gibt Jürg Schweizer, Leiter des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in Davos.

Jürg Schweizer

Leiter Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF

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Der Umweltphysiker und Glaziologe Jürg Schweizer leitet das WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF sowie dessen Forschungseinheit Lawinen und Prävention.

Portrait

SRF News: Das SLF hat «Lawinen und Recht» in einem Seminar zum Thema gemacht. Warum?

Jürg Schweizer: Die beiden Themengebiete «Lawinen» und «Recht» treffen tatsächlich nur sehr selten aufeinander – eben dann, wenn ein Unfall passiert und dabei ein Mensch sein Leben verliert. Dann kann es zu einer Strafuntersuchung kommen und plötzlich steht das Recht im Zentrum.

Kommt es bei einem Lawinenunglück zu einer Strafuntersuchung, werden die Verfahren in den meisten Fällen eingestellt. Schuldsprüche sind eher selten. Warum ist das so?

Es geht um fahrlässige Tötung. Niemand hat die Absicht, dass jemand ums Leben kommt. Also muss untersucht werden, ob eine Unachtsamkeit passiert ist. Wurde die Situation falsch eingeschätzt? Tourenleiterinnen und -leiter machen grundsätzlich gute Arbeit.

Drei Skifahrer gehen bergauf im Schnee, Berge im Hintergrund.
Legende: Gemäss dem Schweizer Alpen-Club SAC sind Skitouren immer beliebter. Auch die Corona-Pandemie hatte einen Einfluss auf die steigende Popularität. Keystone / Gian Ehrenzeller

Auch jene sind zuverlässig, die für die Verkehrswege verantwortlich sind. Darum gibt es nur wenige Verurteilungen. Und trotzdem ist es wichtig, dass die Justiz den Fall sauber aufarbeitet und ein Gutachten erstellen lässt. Dieses zeigt auf, was passiert ist, und wie man im Idealfall vielleicht hätte handeln müssen.

Wer macht diese Gutachten beim SLF?

Das ist ein Team aus drei Personen – andere Leute, als jene, welche das Lawinenbulletin erstellen.

Da könnte es sonst zu Interessenskonflikten kommen.

Genau. Das Lawinenbulletin ist eine wichtige Grundlage bei der Planung, beispielsweise einer Skitour. Während einer Tour ist dann aber entscheidender, wie sich die Berggänger verhalten und wie die Situation lokal aussieht. Nachher werden primär diese beiden Aspekte beurteilt.

Die Anwälte und Richterinnen müssen wissen, dass es nicht so einfach ist, die Lawinengefahr zu beurteilen.

Diese Menschen, seien sie vom SLF oder auf Tour, haben eine Sorgfaltspflicht?

Ja, das ist richtig. Und diese Sorgfaltspflicht haben auch Menschen, die für die Sicherheit in Skigebieten oder auf Verkehrswegen zuständig sind. Dazu gehören auch Gemeinden, die dafür sorgen müssen, dass ihre Bewohnerinnen und Bewohner nicht von einer Lawine verschüttet werden.

Was muss denn die Strafuntersuchungsbehörde – also Anwälte oder Richterinnen – über Lawinen wissen?

Sie müssen wissen, dass es nicht so einfach ist, die Lawinengefahr zu beurteilen. Weiter müssen sie immer einen Sachverständigen oder eine Gutachterin beiziehen, die aufzeigen können, wie sich die involvierten Personen verhalten haben. Und umgekehrt muss sich die Berggängerschaft der Gefahr und dem Risiko bewusst sein. Will heissen: Man muss also nicht mit dem Anwalt auf die nächste Skitour.

Das Gespräch führte Julia Capaul-Viglino.

Regionaljournal Graubünden, 17.6.2025, 17:30 Uhr ; 

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