Um was geht’s: Beim Frauenfussball ist Homosexualität, anders als bei den Männern, kein Tabu. Nicht nur im Schweizer Frauenfussball stehen auffallend viele Spielerinnen offen dazu, lesbisch oder bisexuell zu sein. Dieses Phänomen zeigt sich weltweit in den Frauenfussballclubs, heisst es bei der Lesbenorganisation Schweiz (LOS), dem nationalen Dachverband für Lesben, Bisexuelle und queere Frauen.
Weshalb Fussball für lesbische Frauen attraktiv ist: Frauen mussten sich den Zugang zum Fussball hart erarbeiten. Sie seien in eine Männerdomäne eingebrochen, sagt Alessandra Widmer von LOS. Einige waren es als Lesben jedoch gewohnt, für sich einzustehen und nicht der lange üblichen weiblichen Geschlechterrolle zu entsprechen. Die jungen Frauen heute orientieren sich an Vorbildern, wie etwa der früheren US-Spielerin Megan Rapinoe, die sich gegen jegliche Diskriminierung einsetzt. Lesbische Frauen fühlen sich oft zum Fussball hingezogen, weil sie dort akzeptiert sind. Sie verbünden sich in ihren Teams zu einer Gemeinschaft. Deshalb getrauten sich immer mehr, öffentlich zu sich zu stehen, so Widmer.
Coming-outs für mehr Sichtbarkeit: Eigentlich sollte es egal sein, ob Fussballspielerinnen Frauen oder Männer oder beide lieben. Aber, lesbische Frauen sind laut Widmer in der Schweiz nahezu «unsichtbar». Mit ihren Coming-outs erreichen sie Aufmerksamkeit, werden gehört und gesehen. Je näher jemand einen queeren Menschen kennenlerne und verstehe, desto eher werde sich der andere für die queere Community einsetzen. Denn lesbische Fussballerinnen werden zwar heute von vielen bewundert, aber oft auch angefeindet und sexistisch angemacht.
Akzeptierter als schwule Fussballer: Im Frauenfussball feiere man starke Frauen, die einen körperlich anstrengenden Sport machen, so Widmer. Homosexuelle Fussballerinnen seien heute akzeptierter als ihre männlichen Pendants. Das war nicht immer so. In einem Bericht von SRF aus dem Jahr 2017 über eine offen lesbisch lebende Torhüterin in Deutschland war das Thema noch tabu. Der Trainer verbot ihr das Händchenhalten mit der Freundin, weil sie gesehen werden könnten. Bereits damals lebten viele Spielerinnen offen lesbisch oder bisexuell.
Outing im Männerfussball ein Tabu: Wenn Frauen sich im Fussball als lesbisch outen, ist das keine Sensation mehr. Weil weltweit viele lesbische Frauen sehr gut Fussball spielen. Das dürfte die heute beginnende Europameisterschaft erneut zeigen. Im Männerfussball bekennt sich jedoch selten jemand zu seiner Homosexualität. Es sei tabu, sagt Roman Heggli von Pink Cross, dem Dachverband schwuler und bisexueller Männer. Sie fürchten sich vor Häme und Spott. Je nach Bekanntheitsgrad vom Publikum, aber auch von der Mannschaft. Schwulsein werde von vielen immer noch gleichgestellt mit nicht männlich genug oder feminin. Feminines Verhalten werde im Männerfussball abgewertet, somit auch schwule Fussballer.
Junge konservativer: Diskriminierung von Minderheiten ist zwar heute nicht mehr okay, ein Grossteil der Bevölkerung wünscht sich eine gleichgestellte Gesellschaft. Doch Heggli spürt wieder mehr Skepsis in Medien und Politik gegenüber Minderheiten. Man wolle ihre Rechte einschränken, auch junge Leute seien wieder konservativer eingestellt. Zwar hätten Vereine und Verbände das Thema erkannt, in Mannschaftssportarten bleibe das Coming-out als schwul aber schwierig.