Das Wichtigste in Kürze
- Seit den Krawallen der vergangenen Woche ist die Stadt Bern national in den Schlagzeilen.
- Nach der gewaltätigen Demonstration im Anschluss an die Räumung eines besetzten Hauses betreibt die Politik Ursachenforschung.
- Erfahrungen aus der Vergangenheit könnten helfen, den richtigen Umgang mit der linksautonomen und linksradikalen Szene zu finden.
Die linksautonome Szene ist kein einheitlicher Block. Diese Erkenntnis ist für Urs Anderegg, Historiker und Dozent an der Berner Fachhochschule, zentral. Es gebe Gruppierungen wie den «Revolutionären Aufbau» in Zürich – mit einer klaren ideologischen Weltsicht und mit konkreten politischen Forderungen. Gruppierungen, die Demonstrationen und Protestaktionen organisieren. Gleichzeitig gebe es aber auch verschiedene kleine Splittergruppen, die häufig als Trittbrettfahrer aufträten:
Immer wieder gibt es Gewalteskalationen, die auf Splittergruppen zurückzuführen sind, die die Konfrontation mit der Polizei suchen. Diese Aktionen haben kaum einen ideologischen oder politischen Hintergrund.
Und genau das sei das Problem, sagt der Historiker. Denn solche kleinen, gewalttätigen, eher unpolitischen Gruppen seien schwierig im Zaum zu halten – auch für die Organisatoren von linken Demonstrationen.
Was tun, wenns brennt?
Anderegg will ausdrücklich nicht die Ereignisse der letzten Woche in Bern kommentieren. Für eine genaue Analyse brauche es noch zusätzliche Informationen.
Er hat sich aber in den vergangenen Jahren intensiv mit linken Protestbewegungen in der Schweiz und mit Fragen der Gewalteskalation befasst – und hat daraus wichtige Erkenntnisse gewonnen.
So sei bei früheren Fällen ein massives Eingreifen der Polizei häufig kontraproduktiv gewesen: «Eine massive, demonstrative Präsenz der Polizei wird in der autonomen Linken als Provokation angesehen und ist ein eskalierendes Moment.»
Prävention statt Intervention
Demgegenüber habe es häufig zu einer Beruhigung der Lage beigetragen, wenn es einen Dialog gegeben habe zwischen Behördenvertretern und Exponenten von linken Protestbewegungen. Damit habe man etwa in Zürich schon gute Erfahrungen gemacht, zum Beispiel im Umfeld des 1. Mai. Zentral sei dabei eine «institutionalisierte Kommunikation»:
Im Konfliktfall muss die Kommunikation zwischen Stadt und Aktivisten aufgebaut werden. Doch die Kommunikationskanäle müssen schon bestehen, bevor es überhaupt erst zu Konflikten kommt.
Auch solle eine Stadt gewisse Freiräume zulassen für alternative Wohnformen.
Das ist natürlich gerade bei der Besetzung von leerstehenden Häusern ein Thema.
Wissenschaftler Anderegg fordert: «Ein gewisses Verständnis für das Bedürfnis nach autonomen Räumen. Aber auch eine klare Kommunikation, wo die Grenzen sind.»
Also dass die Behörden Transparenz und schaffen und schon frühzeitig klar machen, wann und unter welchen Umständen ein besetzes Haus wieder geräumt werden muss.
Beiderseitige Dialogbereitschaft
Auf der anderen Seite sieht Anderegg aber auch die Vertreter der linken Protestbewegungen in der Pflicht. Auch sie müssten bereit zum Dialog sein, was bei linksautonomen Gruppen nicht immer der Fall sei. Und vor allem müssten sie sich klar von der Gewalt distanzieren. Nur so könne ein Vertrauensverhältnis entstehen.
Im aktuellen Berner Kontext ist damit natürlich auch die Szene rund um das Kulturzentrum «Reitschule» angesprochen. Eines scheint klar: Strategien und Konzepte im Umgang mit der links-autonomen Szene sind dringend nötig.
Denn angesichts von Quartieraufwertungen und steigenden Wohnungspreisen in den Schweizer Städten dürften Hausbesetzungen und alternative Wohnformen ein aktuelles Thema bleiben.