Die Sorgen um die Schweizer Rüstungsindustrie waren im Ständerat grösser als die Bedenken rund um die Neutralität. Am Schluss waren es nur noch die Linken, die sich gegen die Änderungen im Kriegsmaterialgesetz stemmten – unter anderem die SP-Sicherheitspolitikerin Franziska Roth. Sie wollte zwar auch Ausfuhren an die Ukraine erlauben; die Lösung, die der Ständerat jetzt bevorzugt, findet sie aber hochproblematisch.
SRF News: Es war eine intensive Debatte im Rat. Was ist dabei herausgekommen? Zufrieden können Sie ja nicht sein.
Franziska Roth: Nein, zufrieden bin ich überhaupt nicht. Denn man hat jetzt richtig grosse Löcher ins Kriegsmaterialgesetz geschossen, die Lieferungen an Unrechtsstaaten erlauben. Und man will nicht mehr hinschauen, wem man unter welchen Bedingungen Kriegsmaterial gibt.
Sie haben heute Morgen Ungarn, Argentinien und die USA als Unrechtsstaaten bezeichnet. Ist das angebracht?
Ja, das ist nach wie vor angebracht. Man sieht, wie schnell sich ein Staat mit der Wahl eines Präsidenten verändern kann. Aber so, wie es heute beschlossen wurde, könnte auch ein Staat wie Frankreich, der definitiv kein Unrechtsstaat ist, das Kriegsmaterial weitergeben, zum Beispiel in einem Konflikt gegen die Sahraui.
Die Liste der Länder ist keine willkürliche Liste, sondern dort sind Staaten drauf, die ähnliche Kriegsmaterial-Ausfuhrbestimmungen haben wie die Schweiz. Da kann man ja nicht von Unrechtstaaten reden.
Man kann davon reden, dass diese Staaten ihre Handhabung ändern können. Man sieht das exemplarisch bei den USA. Als man die Liste erstellt hat, waren die USA unter einer Regierung, bei der man davon ausging, dass die Bestimmungen eingehalten werden. Unter Trump kann man das nicht mehr garantieren.
Sie haben vorgeschlagen, dass Ausfuhren und Wiederausfuhren möglich wären, auch in ein Land, das in einem Konflikt ist, aber nur dann, wenn es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriff auf dieses Land handeln würde. Ihr Antrag wurde deutlich abgelehnt, der andere Vorschlag wurde angenommen. Warum? Weil man die Rüstungsindustrie schützen will. Wollen Sie das nicht?
Das ist genau das Problem, dass man im Härtefall die Rüstungsindustrie gar nicht schützt. Wenn zum Beispiel Russland Polen angreifen würde, und Frankreich wollte Polen mit Truppen beistehen, genau dann müsste der Bundesrat in der Lesart dieses Vorstosses, der jetzt angenommen wurde, die Reissleine ziehen.
Sicherheit hat die Rüstungsindustrie nur dann, wenn sie weiss, nach welchen Regeln sie liefern kann.
Das Problem ist doch, dass die Schweizer Rüstungsindustrie schon jetzt massiv leidet, minus 32 Prozent in den letzten zwei Jahren, während in allen anderen Ländern die Rüstungsindustrie durch die Decke gegangen ist. Sie wollten die Solothurner Stahlindustrie retten. Und jetzt wollen Sie nichts machen für die Rüstungsindustrie in der Schweiz?
Ich will sehr viel machen. Aber Sicherheit hat die Rüstungsindustrie nur dann, wenn sie weiss, nach welchen Regeln sie liefern kann. Diese Regeln sind jetzt gemäss dem Antrag, der durchgekommen ist, nicht klar. Bei mir wäre es glasklar gewesen: Wird ein Land angegriffen, dann darf man dem Land Unterstützung bieten. Direkt und indirekt. Das ist ein Bekenntnis zum Völkerrecht.
Aber ihr Vorstoss ist halt abgelehnt worden. Und die bürgerliche Mehrheit hat gesagt: Wir wollen ein Signal ans Ausland senden, dass wir wieder mehr exportieren wollen, damit die Rüstungsindustrie überleben kann.
Signale sind nicht per se schlecht. Aber sie müssen im Ernstfall auch funktionieren, und das tut dieses Signal definitiv nicht.
Das Gespräch führte Urs Leuthard.