Die meisten Parteien begrüssen die Lockerungsschritte des Bundesrats. Die SVP jedoch ist damit unzufrieden. Vizepräsidentin Magdalena Martullo-Blocher wirft dem Bundesrat vor, er setze sich über die Meinung der Kommissionen und des Volkes hinweg.
SRF News: Was halten Sie von den jüngsten Entscheiden des Bundesrats?
Magdalena Martullo-Blocher: Ich bin einmal mehr irritiert und vor den Kopf gestossen. Die Ansteckungen sinken seit November. Mit der Impfung haben wir massiv weniger Hospitalisierte.
Der Bundesrat hat einmal mehr das ganze demokratische System übersteuert.
Die Richtwerte, die der Bundesrat für eine komplette Öffnung definiert hat, sind alle erfüllt. Und trotzdem beachtet der Bundesrat die demokratisch geäusserten Meinungen nicht. Er hat einmal mehr das ganze demokratische System übersteuert.
Sie fordern mit einem Vorstoss mehr Mitspracherecht der Kommissionen. Wollen Sie dem Bundesrat gewisse Kompetenzen wegnehmen?
Wir haben in der Schweiz das demokratische System. Seit über einem Jahr ist es bei Covid-19 total ausgeschaltet. Deshalb habe ich den Antrag gestellt, dass wenigstens die zuständigen Kommissionen bei so weitreichenden Entscheidungen, wie es Schliessungen oder Berufsverbote sind, zustimmen müssen. Wir müssen das in der Session ins Covid-Gesetz einbringen. Ich hoffe, dass uns die anderen Parteien unterstützen, sodass wir wenigstens einen Teil der Demokratie wieder zurückgewinnen.
Dass der Bundesrat für eine Übergangszeit selbst schaltet und waltet, das geht ja noch. Aber über ein Jahr lang, das geht nicht.
Übernehmen Sie als Mitglied der entsprechenden Kommission dann die Verantwortung, falls eine Lockerung zu früh käme?
Selbstverständlich. Wenn wir Lockerungen fordern, übernehmen wir die Verantwortung für die Ansteckungen dort. Aber wer übernimmt die Verantwortung für die rund 4000 Betriebe und die 100'000 Stellen im Gastgewerbe? Und wer bezahlt diese 30 Jahre Verschuldung, die wir jetzt kreiert haben? Am Schluss bezahlen dies sowieso die Bürger und deren Volksvertreter. Man muss auch einmal sagen, dass der Bundesrat gar nicht vom Volk gewählt ist. Dass er für eine Übergangszeit selbst schaltet und waltet, geht ja noch. Aber über ein Jahr lang, das geht nicht.
Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, der Bundesrat habe eine Diktatur eingeführt. Doch im Bundesrat sind auch zwei SVP-Vertreter. Wie können Sie von einer Diktatur sprechen?
Eine Diktatur ist häufig auch eine Diktatur eines Gremiums. Denken Sie nur an die Diktaturen der Einparteienstaaten. Wir haben eine Diktatur des Gremiums, das selber mit einer Mehrheit agiert und wir wissen ja, dass unsere Bundesräte Mitberichte und Anträge auf eine schnellere Öffnung gestellt haben.
Ein Vertreter der jungen SVP hat kürzlich die Frage gestellt, ob Bundespräsident Guy Parmelin nur ein halber SVP-Bundesrat sei. Was sagen Sie zu solchen Äusserungen?
Nein, Guy Parmelin hat eine sehr schwierige Aufgabe als Bundespräsident. Er muss die Meinung der Mehrheit des Bundesrates vertreten und gerade beim Thema Covid ist das überhaupt nicht unsere Parteimeinung und auch nicht die Meinung von Ueli Maurer und Guy Parmelin. Diese beiden kennen die Auswirkungen der strengen Massnahmen. Sie sind beide nicht dafür, das wissen wir.
Ich bin nicht der Meinung, dass man die Regeln brechen soll.
SVP-Nationalrat Roger Köppel hat zum Widerstand aufgerufen. Die Wirte sollen ihre Restaurants auf den 1. März wieder öffnen. Ist es die Aufgabe eine Regierungspartei, zum Widerstand aufzurufen?
Ich bin nicht der Meinung, dass man die Regeln brechen soll. Wir können es den Wirten nicht zumuten, dass sie mit Bussen und Strafen belegt werden. Nein, wir müssen das demokratische System wieder zurückführen.
Das Gespräch führte Roger Aebli.