Anfang Jahr stufte ein Bundesgerichtsurteil die Mädchenschule St. Katharina in Wil als diskriminierend und verfassungswidrig ein. Seither ist unklar, wie es im Kanton St. Gallen für katholische Schulen mit geschlechtergetrennten Klassen weitergeht. Damit es diese auch in Zukunft gibt, fordert ein Vorstoss der SVP und der Mitte im Kantonsparlament, dass die Kantonsverfassung geändert werden soll. Die Regierung lehnt diesen Vorstoss jedoch als «rechtsstaatlich problematisch» ab. Über die Anpassung entscheidet schliesslich das Stimmvolk. Rechtsexperte Benjamin Schindler von der Universität St. Gallen ordnet ein.
SRF News: Ist es rechtlich möglich, das Bundesgerichtsurteil zu umgehen?
Benjamin Schindler: Nein, das Bundesgerichtsurteil zum «Kathi Wil» kann man nicht umgehen. Dieses gilt und muss umgesetzt werden. Die Hoffnung der Bürgerlichen im Kantonsparlament ist, dass man jetzt durch eine Änderung in der Kantonsverfassung die anderen beiden Schulen mit geschlechtergetrennten Klassen retten kann. Wenn man aber in der Rechtsprechung zu einem Bundesgerichtsurteil etwas ändern will, muss man die Bundesverfassung anpassen, nicht die Kantonsverfassung.
Hat der Entscheid – das Anpeilen einer Verfassungsänderung auf kantonaler Ebene – eine aufschiebende Wirkung für das Bundesgerichtsurteil?
Nein, das hat überhaupt keine Auswirkung auf das Bundesgerichtsurteil. Dieses gilt für die Stadt Wil und entsprechend auch für die Sekundarschule «Kathi Wil» – und muss auch entsprechend umgesetzt werden.
Ich finde diesen Weg der Bürgerlichen Kantonspolitikerinnen und Kantonspolitiker problematisch, da er falsche Hoffnungen verspricht.
Ist nur das «Kathi Wil» betroffen oder alle drei konfessionellen Schulen im Kanton mit geschlechtergetrennten Klassen?
Rein rechtlich gesehen ist nur das «Kathi Wil» betroffen. Das Urteil hat aber eine Signalwirkung. Für das Bundesgericht ist das «Kathi» ein tragender Pfeiler des Oberstufen-Schulsystems der Stadt Wil. Ob das bei den anderen konfessionellen Schulen mit reinen Mädchen- und Knabenklassen im Kanton gleich ist, müsste man im Einzelfall anschauen.
Wie schätzen Sie diesen Weg der bürgerlichen Kantonspolitikerinnen und Kantonspolitiker ein?
Ich finde das problematisch. Denn dieser Weg verspricht etwas Falsches: Dadurch wird die Hoffnung vermittelt, konfessionelle und geschlechtergetrennte Schulen in St. Gallen zu retten. Jedoch ist es völlig unklar, ob die Bundesversammlung bei diesem Spiel mitmacht und das Bundesgericht sich am Ende dann auch daran gebunden fühlt.
Kann man die Gewaltentrennung infrage stellen?
Wenn die Vorstellung der kantonalen Politik ist, dass man die Umsetzung dieses Bundesgerichtsurteils mit einer Verfassungsänderung verhindern kann, dann wäre das sicher ein Widerspruch zur Gewaltenteilung. Hingegen: Dass man mit Verfassungsänderungen auf Gerichtsurteile reagiert, ist kein Verstoss gegen die Gewaltenteilung.
Wie lange dauert es, bis es zu einer Verfassungsänderung kommen würde?
Der Regierungsrat hat jetzt ein Jahr Zeit, um der Kantonsregierung eine neue Verfassungsbestimmung vorzuschlagen. Der Kantonsrat braucht dann auch noch ungefähr ein Jahr, bis er diesen Vorschlag beschlossen hat. Dann gibt es eine Volksabstimmung, auch das dauert vermutlich nochmal ein Jahr. Und am Schluss muss die Bundesversammlung alles noch genehmigen. Ich gehe also davon aus – wenn es sportlich vorwärtsgeht – dass der Prozess mindestens vier Jahre dauert.
Das Gespräch führte Reto Hanimann.