Zum Inhalt springen

Header

Zur Übersicht von Play SRF Audio-Übersicht

Mädchen-Sek St. Katharina «Das Bundesgerichtsurteil zum ‹Kathi Wil› kann man nicht umgehen»

Anfang Jahr stufte ein Bundesgerichtsurteil die Mädchenschule St. Katharina in Wil als diskriminierend und verfassungswidrig ein. Seither ist unklar, wie es im Kanton St. Gallen für katholische Schulen mit geschlechtergetrennten Klassen weitergeht. Damit es diese auch in Zukunft gibt, fordert ein Vorstoss der SVP und der Mitte im Kantonsparlament, dass die Kantonsverfassung geändert werden soll. Die Regierung lehnt diesen Vorstoss jedoch als «rechtsstaatlich problematisch» ab. Über die Anpassung entscheidet schliesslich das Stimmvolk. Rechtsexperte Benjamin Schindler von der Universität St. Gallen ordnet ein.

Benjamin Schindler

Professor für Öffentliches Recht, Universität St. Gallen

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Benjamin Schindler ist ein Schweizer Jurist und Rechtsanwalt. Seit 2010 ist er Ordinarius für Öffentliches Recht an der Universität St. Gallen.

SRF News: Ist es rechtlich möglich, das Bundesgerichtsurteil zu umgehen?

Benjamin Schindler: Nein, das Bundesgerichtsurteil zum «Kathi Wil» kann man nicht umgehen. Dieses gilt und muss umgesetzt werden. Die Hoffnung der Bürgerlichen im Kantonsparlament ist, dass man jetzt durch eine Änderung in der Kantonsverfassung die anderen beiden Schulen mit geschlechtergetrennten Klassen retten kann. Wenn man aber in der Rechtsprechung zu einem Bundesgerichtsurteil etwas ändern will, muss man die Bundesverfassung anpassen, nicht die Kantonsverfassung.

Das Urteil des Bundesgerichts

Box aufklappen Box zuklappen

Seit Jahren sorgt die frühere Klosterschule St. Katharina in Wil SG für Kontroversen. Die private Mädchenschule hat einen Leistungsvertrag mit der Stadt Wil. Sekundarschülerinnen aus Wil können deshalb die Schule gratis besuchen, wovon ein Grossteil Gebrauch macht. Grüne und SP finden geschlechtergetrennte Schulen mit katholischem Hintergrund jedoch veraltet. Zwei Personen und die Jungen Grünen Wil-Fürstenland haben deshalb Beschwerde eingereicht.

Im Januar dieses Jahres haben drei von insgesamt fünf Richterinnen und Richter die Beschwerde gutheissen (Verletzung der Glaubensfreiheit und des Diskriminierungsverbots). Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons St. Gallen und die mitangefochtenen Beschlüsse des Stadtrats von Wil werden damit aufgehoben.

Hat der Entscheid – das Anpeilen einer Verfassungsänderung auf kantonaler Ebene – eine aufschiebende Wirkung für das Bundesgerichtsurteil?

Nein, das hat überhaupt keine Auswirkung auf das Bundesgerichtsurteil. Dieses gilt für die Stadt Wil und entsprechend auch für die Sekundarschule «Kathi Wil» – und muss auch entsprechend umgesetzt werden.

Ich finde diesen Weg der Bürgerlichen Kantonspolitikerinnen und Kantonspolitiker problematisch, da er falsche Hoffnungen verspricht.

Ist nur das «Kathi Wil» betroffen oder alle drei konfessionellen Schulen im Kanton mit geschlechtergetrennten Klassen?

Rein rechtlich gesehen ist nur das «Kathi Wil» betroffen. Das Urteil hat aber eine Signalwirkung. Für das Bundesgericht ist das «Kathi» ein tragender Pfeiler des Oberstufen-Schulsystems der Stadt Wil. Ob das bei den anderen konfessionellen Schulen mit reinen Mädchen- und Knabenklassen im Kanton gleich ist, müsste man im Einzelfall anschauen.

Was würde mit den anderen beiden Schulen passieren?

Box aufklappen Box zuklappen

Auch wenn die Kantonsverfassung geändert werden und es dann wieder einen Kläger auf kantonaler Ebene geben würde, ginge das ganze Spiel für die anderen konfessionellen Schulen im Kanton nochmal von vorne los, wie Benjamin Schindler von der Universität St. Gallen erklärt: «Das Risiko besteht, dass bei den anderen beiden Schulen genau dasselbe Prozedere durchgespielt würde.» Schindler geht davon aus, dass das Bundesgericht dort zu einem ähnlichen Urteil kommen würde.

Wie schätzen Sie diesen Weg der bürgerlichen Kantonspolitikerinnen und Kantonspolitiker ein?

Ich finde das problematisch. Denn dieser Weg verspricht etwas Falsches: Dadurch wird die Hoffnung vermittelt, konfessionelle und geschlechtergetrennte Schulen in St. Gallen zu retten. Jedoch ist es völlig unklar, ob die Bundesversammlung bei diesem Spiel mitmacht und das Bundesgericht sich am Ende dann auch daran gebunden fühlt.

Fassade eines historischen Gebäudes mit Schriftzug 'St. Katharina'.
Legende: In der katholischen Sekundarschule St. Katharina in Wil gehen nur Mädchen zur Schule. Ein Vorstoss auf Kantonsebene von der SVP und der Mitte will, dass das auch künftig so bleibt, trotz eines Urteils vom Bundesgericht. SRF

Kann man die Gewaltentrennung infrage stellen?

Wenn die Vorstellung der kantonalen Politik ist, dass man die Umsetzung dieses Bundesgerichtsurteils mit einer Verfassungsänderung verhindern kann, dann wäre das sicher ein Widerspruch zur Gewaltenteilung. Hingegen: Dass man mit Verfassungsänderungen auf Gerichtsurteile reagiert, ist kein Verstoss gegen die Gewaltenteilung.

War das Urteil vom Bundesgericht politisch gefärbt?

Box aufklappen Box zuklappen

«Urteile des Bundesgerichts und besonders deren Auswirkungen sind politisch nie neutral – das hat man auch hier im Fall ‹Kathi Wil› gesehen. Die Auswirkung des Urteils wird als sehr politisch wahrgenommen», sagt Staatsrechtsexperte Benjamin Schindler. Er ist aber davon überzeugt, dass die Bundesrichterinnen und -richter in erster Linie nicht parteipolitisch entschieden haben. Es spiele aber sicher einen Einfluss, «dass Richterinnen und Richter aus der Romandie ein anderes Verständnis vom Verhältnis zwischen Staat und Kirche haben als in der Deutschschweiz», erklärt Schindler.

Wie lange dauert es, bis es zu einer Verfassungsänderung kommen würde?

Der Regierungsrat hat jetzt ein Jahr Zeit, um der Kantonsregierung eine neue Verfassungsbestimmung vorzuschlagen. Der Kantonsrat braucht dann auch noch ungefähr ein Jahr, bis er diesen Vorschlag beschlossen hat. Dann gibt es eine Volksabstimmung, auch das dauert vermutlich nochmal ein Jahr. Und am Schluss muss die Bundesversammlung alles noch genehmigen. Ich gehe also davon aus – wenn es sportlich vorwärtsgeht – dass der Prozess mindestens vier Jahre dauert.

Das Gespräch führte Reto Hanimann.

Regionaljournal Ostschweiz, 17.9.2025, 12:03 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel