Es ist ein harter Schlag gegen die Mafia: Am 3. Mai 2023 sind über 2700 Polizistinnen und Polizisten im Kampf gegen die kalabrische 'Ndrangheta im Einsatz. In zehn Ländern werden 130 Personen verhaftet, unter anderem im Zusammenhang mit Drogenschmuggel. In der Schweiz gibt es keine Verhaftungen und keine Razzien.
Dabei sei die Mafia in unserem Land sehr aktiv, erklärt Nicola Gratteri, einer der bekanntesten Anti-Mafia-Staatsanwälte Kalabriens: «Die Schweiz muss verstehen, dass es auf ihrem Territorium genauso kriminelle Organisationen gibt wie in Italien. Es ist also sinnlos, alles unter den Teppich zu kehren und so zu tun, als ob man nichts wüsste.»
Das beweisen auch die Statistiken der Bundespolizei Fedpol. Die Zahl der bearbeiteten Mafia-Fälle ist in der Schweiz seit 1970 stetig gestiegen. Im Jahr 2020 war die Mafia praktisch in der ganzen Schweiz präsent.
Im Laufe der Jahrzehnte hat sich die Mafia verändert: «Heute benutzt die Mafia kaum noch Maschinengewehre, sondern hauptsächlich Aktenkoffer», so Gratteri. Und darauf ist die Schweizer Justiz zu schlecht vorbereitet. Es gibt nicht einmal einen Straftatbestand, der das Wort ‹Mafia› enthält.
«Laut Gesetz sind die Schweizer Behörden nicht in der Lage, ein solches kriminelles Verhalten zu verfolgen», erklärt Gratteri. Sie würden nur eingreifen, wenn es sich um Verbrechen wie Erpressung, Wucher oder Geldwäsche handelt. «Aber mafiöses Verhalten, der mafiöse Modus Operandi, wird in der Schweiz nicht anerkannt und daher auch nicht verfolgt.»
Der mafiöse Modus Operandi ist in der Schweiz nicht anerkannt und wird deshalb nicht verfolgt.
Ein Mitglied der Mafia kann in der Schweiz wegen «Unterstützung oder Beteiligung an einer kriminellen und terroristischen Vereinigung» angeklagt werden. Tatsächlich gab es aber in der Schweiz in den letzten Jahren fast keine derartigen Anklagen, und Schweizer Mafiosi werden häufig ausgeliefert, unter anderem an Italien.
Strengeres Gesetz seit 2021
In Zukunft könnte es mehr Anklagen und Mafia-Prozesse in der Schweiz geben, denn seit fast zwei Jahren gilt ein strengeres Gesetz. Laut der Bundespolizei Fedpol ist es aber noch zu früh, eine Bilanz zu ziehen. Paolo Bernasconi, ehemaliger Tessiner Staatsanwalt, bezweifelt, dass diese oder andere Gesetzesänderungen viel bringen würden: «Die Lösung liegt nicht in den Gesetzen und Vorschriften. Sie liegt in der Fähigkeit, die Verbindungen zwischen der Mafia und der Finanzunterwelt in der Schweiz zu zerschlagen.»
Damit meint Bernasconi zum Beispiel die Finanzintermediäre, die ohne Bewilligung arbeiten können und die stärker überwacht werden sollen.
Das Fedpol will sich auch auf das Mafia-Geld konzentrieren. Dies erfordert mehr Ressourcen, aber auch Informationen über die Besonderheiten der Mafia. Nicoletta della Valle, Direktorin des Fedpol, anerkennt, dass es noch Grauzonen gibt, was die Mafia in der Schweiz betrifft.