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Berater oder Aktivisten? Kommt die nächste Pandemie, hält sich die Wissenschaft zurück

Politik und Wissenschaft ziehen Lehren aus der Covid-Pandemie. Dazu gehört ein Netzwerk aus Expertinnen und Experten.

Herdenimmunität, R-Wert, exponentielles Wachstum: Während der Corona-Pandemie schlug die Stunde der Wissenschaft. Epidemiologinnen und Virologen stiegen zu Popstars auf, wie es die «Welt» ausdrückte.

Schulter an Schulter mit Bundesräten, Premiers und Präsidenten sprachen sie zur Bevölkerung. Manchmal etwas gar forsch, wie die Politik befand. Es kam zu Reibereien und Kompetenzgerangel.

Nach der Krise ist vor der Krise

Der Bundesrat arbeitet seit Jahren daran, sich besser für künftige Krisen wie Pandemien zu rüsten. Ein zentraler Punkt: Die Wissenschaft soll über Ad-hoc-Gremien beigezogen werden können, wenn es ihren Rat braucht.

GDK-Präsident Lukas Engelgerber und Alain Berset
Legende: Die Covid-19-Pandemie habe deutlich gezeigt, wie wichtig eine enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik bereits im Vorfeld einer Krise sei, teilte der Bundesrat 2022 mit. Keystone/Peter Klaunzer

Auf Anregung des Bundes haben die Schweizer Institutionen im Bildungs- und Forschungsbereich nun ein Netzwerk für wissenschaftliche Beratung lanciert. Dies teilen die Akademien der Wissenschaften Schweiz mit.

Was tun, wenns brennt?

Verantwortlich für das Netzwerk ist unter anderem der ETH-Rat. Dessen Präsident Michael Hengartner zieht den Vergleich zur freiwilligen Feuerwehr: «Sie kann auch nicht erst zusammengetrommelt werden, wenn ein Feuer ausbricht.» Rekrutierung und Rollenverteilung müssten abgeschlossen sein, bevor es brennt. Und Szenarien durchgespielt werden, damit die Löscharbeiten möglichst effizient ablaufen.

Zu lasch, zu hart, zu früh, zu spät: Manche Massnahmen, auf die sich Politik und Wissenschaft verständigten, waren umstritten. Der Bundesrat hielt vor einem Jahr etwa fest, dass Schutzmassnahmen in Alters- und Pflegeheimen viel Leid erzeugt, aber auch verhindert hätten.

Keine Empfehlungen an die Politik

Die Herausforderungen, vor denen die Gesellschaft stehe, erforderten Entscheidungen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen, heisst es in der Medienmitteilung des Netzwerks. Es wolle den Behörden aber keine politischen Empfehlungen abgeben.

Der Bundesrat wird gewählt, um das Land zu führen – das soll keine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern machen.
Autor: Michael Hengartner Präsident des ETH-Rats

Im Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik harzte es während der Pandemie wiederholt. Mitglieder der wissenschaftlichen Taskforce kritisierten den Bundesrat öffentlich; die Politik diskutierte darüber, der Taskforce einen Maulkorb zu verpassen. Später hielt sich die Taskforce bewusst zurück.

Mann mit Maske blickt Richtung Kamera
Legende: Der damalige Gesundheitsminister bei einer Medienkonferenz während der Corona-Pandemie im März 2021. Archiv/KEYSTONE/Peter Schneider

Stiehlt man sich nun aus der Verantwortung? «Wir liefern Informationen, Fakten, Entscheidungsgrundlagen», sagt Hengartner. «Aber der Bundesrat wird gewählt, um das Land zu führen – das soll keine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern machen.» Letzteres wäre anmassend und auch nicht im Sinne der Demokratie, so der schweizerisch-kanadische Biochemiker und Molekularbiologe.

Hat der Bundesrat auf die «strengsten» Experten gehört?

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Levy mit Berset
Legende: BAG-Direktorin Anne Lévy mit dem damaligen Gesundheitsminister Alain Berset (Juni 2023) Keystone/Anthony

In einem Interview mit der NZZ stellte BAG-Chefin Anne Lévy Anfang September in Abrede, dass der Bundesrat während der Pandemie immer auf jene Expertinnen und Experten gehört habe, die möglichst scharfe Massnahmen forderten. «Gesundheitsminister Alain Berset und wir haben auch mit kritischen Köpfen geredet und uns breit ausgetauscht, bevor ein Entscheid gefällt wurde.»

Der Bundesrat habe während der Pandemie versucht, einen Mittelweg zu gehen: «Natürlich ging es in erster Linie um medizinische Sicherheit», so Lévy. «Aber wir haben auch das Wohlbefinden der Leute oder die wirtschaftlichen Auswirkungen mitberücksichtigt.»

Das Netzwerk verschreibt sich also selbst Zurückhaltung. Eine Lehre aus den Querelen von damals? Hengartner sieht die Rolle der Wissenschaft darin, als «ehrliche Maklerin» aufzutreten: «In solchen Krisen gibt es unterschiedliche Optionen und Güterabwägungen. Die Wissenschaft hilft, aufzuzeigen, was die Konsequenzen sein könnten.»

Ein bewusster Entscheid

Gerichtet an die eigenen Forschungskolleginnen und -kollegen sagt er aber auch: Sie hätten zwar das Recht, kritisch zu sein. «Sie können aber nicht Makler und Aktivist sein. Sie müssen wählen, ob sie den Bundesrat von ihrer Idee überzeugen wollen oder ob sie in Ruhe beraten und Informationen liefern möchten.»

Die Mitglieder im Netzwerk hätten sich für Letzteres entschieden. Dafür seien sie bereit, sich in der Öffentlichkeit ein wenig zurückzuziehen, schliesst Hengartner.

Ende mit dem pandemischen «Kantönligeist»

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Als Lehre aus der Pandemie will der Bundesrat im Krisenfall Massnahmen besser begründen und die Kooperation von Bund und Kantonen verbessern: Wer wann was entscheiden darf, soll klar geregelt werden. Im neuen Epidemiengesetz soll etwa vermieden werden, dass sich absurde Situationen wie der Kantönligeist bei der Maskenpflicht wiederholen.

Ein Kernpunkt im neuen Gesetz: Will der Bundesrat eine besondere Lage ausrufen oder beenden, müssen zuvor Kantone und die Parlamentskommissionen konsultiert werden.

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SRF 4 News, 30.9.2025, 7:20 Uhr ; 

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