Mangelhafte Gutachten - Väter kämpfen gegen Kanton Bern und um ihre Kinder
Berner Kantonsangestellte erstellten mangelhafte Gutachten im Familienrecht. Zu diesem Schluss kommt eine unabhängige Stelle, welche die Gutachten überprüfte. Der Kanton versuchte, die kritischen Dokumente daraufhin unter Verschluss zu halten.
Die Geschichte von Christoph Meier* und seinem Kampf um die Tochter füllt 20 Ordner. Nach der Trennung von seiner Partnerin soll vor Gericht geklärt werden, wer das Obhutsrecht erhält – sich also hauptsächlich um die Tochter kümmert. Bis dahin lebt diese abwechselnd bei beiden. Weil die Eltern zerstritten sind, gibt das Gericht im Herbst 2021 ein Gutachten in Auftrag.
Kritik an zwei unterschiedliche Erziehungsberatungsstellen
Geschrieben wird es von Angestellten der kantonalen Erziehungsberatungsstelle Ittigen. «Ich hatte von Anfang an ein komisches Gefühl. Eine der Gutachterinnen war jung und schien mir unbeholfen», sagt Meier. Das Gutachten empfiehlt, dass das Kind bei der Mutter leben soll, den Vater soll es nur noch alle zwei Wochen sehen. Meier wehrt sich.
Unterstützt wird er von der «Interessensgemeinschaft geschiedener und getrennt lebender Männer (IGM)», diese zahlt einen Anwalt. Die IGM hilft auch einem weiteren Vater. Dieser kämpft um den Kontakt zu seinem Sohn und gegen das negative Gutachten der Erziehungsberatungsstelle Thun.
Gutachten in wesentlichen Punkten mangelhaft
Die zuständige Berner Bildungsdirektion BKD lässt die beiden Gutachten von einer unabhängigen Stelle prüfen. Die geschwärzten Dokumente liegen SRF Investigativ vor.
Legende:
Die Obergutachten kritisieren viele Punkte
In beiden Fällen werden die Qualifikationen der Psychologinnen und Psychologen der Erziehungsberatungsstellen angezweifelt (links). Beide Gutachten hätten die geltenden Richtlinien «nicht hinreichend eingehalten» (rechts).
SRF
Die Obergutachten stellen zahlreiche Mängel fest: Die Gutachter der Erziehungsberatungsstellen seien nicht qualifiziert genug. Sie hätten ungeeignete und unbrauchbare Methoden angewandt und falsche Schlüsse gezogen.
Die Hauptkritikpunkte der Obergutachten
Box aufklappenBox zuklappen
Die Überprüfung der Gutachten der Erziehungsberatungsstellen Ittigen und Thun wurde von einer unabhängigen Stelle vorgenommen, welche je ein Obergutachten erstellte. Beide liegen SRF Investigativ geschwärzt vor.
Das Obergutachten zum Fall Ittigen kritisiert u.a. diese Punkte:
Qualifikation der Gutachterinnen und Gutachter
Verwendung des Verfahrens «Familien-Aufstellungs-Rekonstruktion-Exploration». Dieses wird im Obergutachten als ein «aus der Zeit gefallenes Relikt» bezeichnet, da es «auf einem überholten Familienbild» basiere
keine Dokumentation interner Besprechungen und Supervisionen
Fazit: «Insgesamt wurden die geltenden Richtlinien bei der Erarbeitung des Gutachtens nicht hinreichend eingehalten. Das Gutachten wird als nicht hinreichend ausgewogen beurteilt.»
Das Obergutachten zum Fall Thun kritisiert u.a. diese Punkte:
Qualifikation der Gutachterinnen und Gutachter
Gutachter nahmen beratende und therapeutische Rolle ein, die nicht ihrer Funktion und ihrem Auftrag entsprochen habe
Verwendung des Verfahrens «Familie in Tieren». Das Obergutachten bezeichnet dieses als «ungeeignet» und «unbrauchbar»
keine Supervision dokumentiert
Zweifel an der Unvoreingenommenheit der Gutachterinnen und Gutachter bzgl. Bewertung von Äusserungen des Vaters
Fazit: «Insgesamt wurden die geltenden Richtlinien bei der Erarbeitung des Gutachtens nicht hinreichend eingehalten. Das Gutachten wird als nicht hinreichend ausgewogen beurteilt.»
Zu dieser Kritik in den Obergutachten nahm eine Person aus der Bildungsdirektion intern Stellung. Auch diese Dokumente liegen SRF Investigativ geschwärzt vor. Die Person gibt die Sicht der Erziehungsberatungsstellen wieder. Und schreibt:
die Gutachterinnen und Gutachter seien genügend qualifiziert
das Mehraugenprinzip (u.a. Supervision) sei gewährleistet, diese Qualitätsmassnahmen seien selbstverständlich und würden deshalb im Gutachten nicht dokumentiert
Die Verwendung der Verfahren sehe man intern ebenfalls kritisch, die Ergebnisse der Tests seien aber nicht als «argumentative Bausteine» verwendet worden, was die Kritik abschwäche
im Fall Ittigen hätte man verschiedene Szenarien zur Obhut «noch vertiefter darstellen können»
im Fall Thun waren «Therapiegespräche» im Rahmen der Begutachtung nicht zulässig, hätten aber in guter Absicht stattgefunden
Man nehme die externe Kritik als Anstoss. Man prüfe, die Arbeitsmethodik künftig transparenter darzustellen und verschiedene Obhutszenarien expliziter zu machen.
Der unabhängige forensische Psychiater Frank Urbaniok hat die Obergutachten für SRF Investigativ geprüft. Auch er sieht einige der verwendeten Tests kritisch: «Die Kinder sollten mit Spielfiguren ihre Familie aufstellen oder Symboltiere für Familienmitglieder aussuchen. Das öffnet Tür und Tor für spekulative Interpretation.»
Zudem seien Schlussfolgerungen nicht ausreichend hergeleitet worden: «Sie scheinen mir tendenziös.» Weiter kritisiert Urbaniok, dass die Gutachten nicht unterschiedliche Obhutszenarien aufzeigen. «Das ist offenbar unzureichend gemacht worden und ein eindeutiger Qualitätsmangel.»
Legende:
Angewandte Tests fallen in Obergutachten durch
Im Fall der Erziehungsberatungsstelle Thun kritisierte das Obergutachten angewandte Tests als «unbrauchbar» und «ungeeignet».
SRF
Trotz der festgestellten Mängel bezeichnete Bildungsdirektorin Christine Häsler die Qualität der Gutachten in einem Brief an die IGM als «genügend» und für die Gerichte als «zweckdienlich».
Amt wollte Herausgabe verhindern
Ihre Direktion versuchte, die Herausgabe der kritischen Obergutachten abzuwehren. In der Ablehnung des Antrags auf Akteneinsicht heisst es, man befürchte, es würde damit «medial Unruhe» gestiftet. Mit dem Öffentlichkeitsgesetz konnte die IGM die Einsicht doch noch durchsetzen.
Hohe Kosten für Verfahren
Box aufklappenBox zuklappen
Die beiden Gutachten, deren Überprüfung und die Verfahren zur Herausgabe der Dokumente kosteten schätzungsweise mehrere zehntausend Franken Steuergelder. Zu den Kosten schreibt die Berner Bildungsdirektion: «Die Aufwendungen für Erst- und Obergutachten sowie die Bearbeitung von Aufsichtsbeschwerden und Akteneinsichtsgesuchen sind Investitionen in die Rechtssicherheit, die letztlich langfristig teurere Gerichtsverfahren und das Risiko von Fehlentscheiden vermindern.»
Die Bildungsdirektion beantwortet die Frage von SRF Investigativ zusammenfassend. Zu den festgestellten Mängeln schreibt sie: «Die BKD hat das Obergutachten zur Kenntnis genommen und in die laufende Qualitätssicherung und -entwicklung einfliessen lassen.» Sei man mit einem Gutachten nicht einverstanden, könne man ein Gegengutachten erstellen lassen. Die BKD habe keine Befugnis, Gutachten eigenständig zu verändern.
Die mangelhaften Gutachten bleiben gültig, die Väter müssten vor Gericht. Das sei teuer, der Ausgang ungewiss, sagt Christoph Meier. Und: «Mein Vertrauen in den Staat ist sowieso ruiniert.»
Stellungnahme der Berner Bildungsdirektion
Box aufklappenBox zuklappen
Die Gutachten der Erziehungsberatung dienen den entscheidenden Behörden, insbesondere der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) und den Gerichten, als Entscheidungsgrundlage. Die Behörden vergeben einen Gutachtensauftrag, wenn sie Entscheide treffen müssen, um eine Kindeswohlgefährdung abzuwenden und die Sachkunde der Auftraggebenden für diese Entscheidung nicht ausreicht. Die Sachverständigen sind dem Kindeswohl verpflichtet. Ist man mit dem Ergebnis eines Gutachtens nicht einverstanden, können Gegengutachten eingereicht werden oder man kann die entscheidende Behörde davon überzeugen, dass die Gutachten aus guten Gründen in bestimmten Punkten nicht korrekt sind. Die inhaltliche Beurteilung obliegt letztlich der KESB bzw. den Gerichten, die alle vorgelegten Unterlagen mitberücksichtigen. Eine inhaltliche Revision wird durch eine gerichtliche Anordnung oder auf Veranlassung der KESB oder des Gerichts erfolgen. Die BKD hat keine Befugnis, Gutachten eigenständig zu verändern, sondern sorgt im Rahmen ihrer Qualitätssicherung dafür, dass allfällige Optimierungen frühzeitig identifiziert und umgesetzt werden. Die BKD hat das Obergutachten zur Kenntnis genommen und in die laufende Qualitätssicherung und -entwicklung einfliessen lassen.
Im April 2025 hat die IGM die BKD um einen Austausch ersucht, dem die BKD umgehend nachgekommen ist. Mit der IGM wurde ein Gesprächstermin vereinbart, an dem ihre Anliegen aufgenommen werden. Der Termin steht noch bevor. Die BKD hat sich den Vorwürfen der IGM stets gestellt, alle Anfragen beantwortet und versucht, Lösungen zu finden.
Die Aufwendungen für Erst- und Obergutachten sowie die Bearbeitung von Aufsichtsbeschwerden und Akteneinsichtsgesuchen sind Investitionen in die Rechtssicherheit, die letztlich langfristig teurere Gerichtsverfahren und das Risiko von Fehlentscheiden vermindern. Sie dienen dem Schutz des Kindeswohls und der Transparenz behördlichen Handelns. Die Erziehungsberatungsstelle erstellt seit fast 50 Jahren Gutachten. Im Zeitraum vom August 2023 bis August 2024 wurden 35 Gutachten erstellt. Ein Obergutachten zu EB-Gutachten wurde in zwei Fällen erstellt. Die Qualität der Gutachten können Sie bei den Auftraggebern (KESB, Gerichte) erfragen.
Die maximale Anzahl an Codes für die angegebene Nummer ist erreicht. Es können keine weiteren Codes erstellt werden.
Mobilnummer ändern
An diese Nummer senden wir Ihnen einen Aktivierungscode.
Diese Mobilnummer wird bereits verwendet
E-Mail bestätigen
Wir haben Ihnen ein E-Mail an die Adresse {* emailAddressData *} gesendet. Prüfen Sie bitte Ihr E-Mail-Postfach und bestätigen Sie Ihren Account über den erhaltenen Aktivierungslink.
Keine Nachricht erhalten?
Wenn Sie nach 10 Minuten kein E-Mail erhalten haben, prüfen Sie bitte Ihren SPAM-Ordner und die Angabe Ihrer E-Mail-Adresse.
Wir haben Ihnen ein E-Mail an die Adresse {* emailAddressData *} gesendet. Prüfen Sie bitte Ihr E-Mail-Postfach und bestätigen Sie Ihren Account über den erhaltenen Aktivierungslink.
Keine Nachricht erhalten?
Wenn Sie nach 10 Minuten kein E-Mail erhalten haben, prüfen Sie bitte Ihren SPAM-Ordner und die Angabe Ihrer E-Mail-Adresse.
Sie können sich nun im Artikel mit Ihrem neuen Passwort anmelden.
Ein neues Passwort erstellen
Wir haben den Code zum Passwort neusetzen nicht erkannt. Bitte geben Sie Ihre E-Mail-Adresse erneut ein, damit wir Ihnen einen neuen Link zuschicken können.
Ihr Account wurde deaktiviert und kann nicht weiter verwendet werden.
Wenn Sie sich erneut für die Kommentarfunktion registrieren möchten, melden Sie sich bitte beim Kundendienst von SRF.