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Maskenpflicht und Grundrechte «Der Staat muss manchmal auch aktiv tätig werden»

Ab morgen gilt im öffentlichen Verkehr in der Schweiz eine Maskenpflicht. Oft wird das Argument gehört, dass mit einer solchen Vorschrift der Staat unverhältnismässig stark die individuelle Freiheit einschränke. Diese Sicht greife zu kurz, sagt Evelyne Schmid.

Evelyne Schmid

Völkerrechtsprofessorin

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Evelyne Schmid ist eine Schweizer Juristin und Assoziierte Professorin an der Universität Lausanne. Seit 2017 hat sie an der Juristischen Fakultät einen Lehrstuhl für Völkerrecht inne. In ihrer Forschung befasst sich Schmid mit dem Internationalen Öffentlichen Recht, dem Menschenrechtsschutz und dem Verhältnis zwischen internationalem und Landesrecht.

Wie weit darf der Staat mit den Corona-Massnahmen gehen, die einen Grundrechtseingriff mit sich bringen?

Diese Fragen sind ganz wichtig. Die Menschenrechte schützen uns nämlich davor, dass der Staat ungerechtfertigterweise in unsere Grundrechte eingreift. Man spricht von sogenannten Abwehr-Rechten, das wir uns wehren können gegen ungerechtfertigte Eingriffe. Zum Glück gibt es klare Voraussetzungen, wann solche Eingriffe gerechtfertigt sind.

Der Staat muss manchmal auch aktiv tätig werden, um uns zu schützen und das Recht auf Gesundheit oder das Recht auf Leben zu gewährleisten.

Jetzt aber, in dieser Situation sagen sie, der Staat müsse sogar eingreifen. Auf welchen gesetzlichen Grundlagen fusst denn diese Aussage?

Die Sicht ist eben unvollständig nur auf die Eingriffe zu schauen, weil der Staat nicht nur eine Verpflichtung hat, gewisse Freiheiten zu respektieren. Sondern er muss manchmal auch aktiv tätig werden, um uns zu schützen und das Recht auf Gesundheit oder das Recht auf Leben zu gewährleisten. In Artikel 41 der Bundesverfassung steht, dass Bund und Kantone sich einsetzen sollen, damit jede Person die für sie notwendige Pflege im Bereich der Gesundheit erhält. Oder auch, dass Erwerbsfähige ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Das sind sogenannte Sozialziele.

Aber das ist nicht in dem Sinne ein Bundesverfassungsartikel, sondern es sind Ziele, die man sich gesetzt hat?

Das sind Sozialziele aus der Bundesverfassung. Und zur Erreichung dieser beiden Ziele hilft eine Maskenpflicht. Sie verringern die Ansteckungen und damit wird die Überlastung des Gesundheitssystems vermieden. Und so wird auch gewährleistet, dass alle am wirtschaftlichen Leben teilhaben können. Und auch völkerrechtlich ist Artikel 12 im UNO-Pakt 1 – das Recht auf Gesundheit von besonderer Bedeutung. Dort steht auch explizit, dass der Staat vorbeugende Massnahmen gegen Epidemien ergreifen muss. Und wenn es eine Epidemie gibt, soll er diese bekämpfen. Und auch da ist eine Maskenpflicht natürlich hilfreich. Deshalb ist sie nicht nur zulässig, sondern aktuell aus rechtlicher Sicht auch geboten. Weil andere Massnahmen wie Kontaktlisten im Bereich des öffentlichen Verkehrs nicht wirksam oder nicht zielführend sind.

Ist es denn nicht etwas, das die Schweiz ausmacht, dass bisher so viel Wert auf Freiheit und Eigenverantwortung gelegt wird?

Beide Seiten der Menschenrechte sind wichtig. Um zu verhindern, dass der Staat ungerechtfertigterweise zu viel in die Grundrechte eingreift. Aber auch um zu gewährleisten, dass er genügend tut, um das Recht auf Gesundheit zu schützen. Die Eigenverantwortung und die individuelle Freiheit sind absolut zentrale Werte der Bundesverfassung. Aber was diese Werte dann konkret bedeuten, liegt oftmals auch im Auge des Betrachters.

In der Präambel der Bundesverfassung steht, dass man nur frei ist, wenn man die Freiheit auch nutzen kann. Und, dass wir in gegenseitiger Rücksichtnahme leben wollen.

Wenn sie mit Coronavirus im Bett liegen und ich sie frage, was die Freiheit jetzt für sie bedeute – dann haben Sie vielleicht eine andere Antwort, als wenn ich die gleiche Frage in einem Bahnhof an eine Person stelle, die es etwas unangenehm findet, sich eine Maske anziehen zu müssen. Und in der Präambel der Bundesverfassung steht, dass man nur frei ist, wenn man die Freiheit auch nutzen kann. Und, dass wir auch in gegenseitiger Rücksichtnahme leben wollen.

Echo der Zeit, 05.07.2020, 18 Uhr ; 

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