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Zweifel der Eltern von Transgender-Kinder
Aus 10 vor 10 vom 20.07.2021.
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Minderjährige Transmenschen Eltern wehren sich gegen zu schnelle Geschlechtsangleichung

Hormontherapie und Brustamputation: Wegen der Behandlung ihrer Kinder haben Genfer Eltern die Justiz eingeschaltet.

Als ihre Tochter ihr sagte, sie fühle sich als Junge, reagierte die Mutter* erst einmal positiv. «Ich habe mich in meinem Leben auch hinterfragt, ich bin extrem offen für diese Suche nach der eigenen Sexualität und Gender-Identität. Ich finde das normal und gesund», so die Genferin. Ähnlich wie ihr erging es auch Frédéric. Er war zwar überrascht, als ihm seine Tochter in einem Brief anvertraute, sie sei im falschen Körper geboren worden. Doch auch er akzeptierte ihren Wunsch, einen Bubennamen anzunehmen.

Zu schnelle Behandlung?

Nicht mehr einverstanden waren die beiden, als ihre Kinder nach wenigen Sitzungen beim Psychiater bereits eine Bescheinigung für medizinische Schritte zur Geschlechtsangleichung erhielten: für eine Hormontherapie und die Brustamputation. Zwar braucht es nach einer solchen psychiatrischen Einschätzung noch die konkrete Verschreibung durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Dennoch sagt die Mutter: «Das hat mich wirklich beunruhigt. Wie will der Psychiater nach so kurzer Zeit meine Tochter bereits richtig einschätzen können?»

Frédéric sagt: «Meine Tochter war erst 16 Jahre alt. Das wirft doch Fragen auf: Ist die Hormontherapie tatsächlich die Lösung für ihr Problem, ist sie urteilsfähig, und wie entsteht so ein Zertifikat überhaupt?» Die Eltern haben sich zum Verein AMQG zusammengeschlossen, für eine «massvolle Herangehensweise» bei der Hinterfragung der Geschlechtsidentität bei Jugendlichen. Sie glauben, dass ihre Kinder auf ihrer Identitätssuche beeinflusst wurden. «Es gibt einen Gruppeneinfluss. In der Schule meines Kindes sind es gleich mehrere, die trans sind», sagt die Mutter.

Genfer Psychiater angezeigt

«10vor10» liegen die praktisch identischen Berichte zweier Fälle von Eltern des Vereins vor, in denen ein Genfer Psychiater einer 16- und einer 17-jährigen Patientin sein OK für eine Hormonbehandlung und eine Brustamputation gab – laut den Eltern nach nur vier beziehungsweise sechs Sitzungen. Und dies innerhalb von weniger als drei Monaten. Auf Anfrage von «10vor10» weist der Arbeitgeber des Psychiaters darauf hin, dass dieser seine Rolle im Behandlungsablauf eingehalten habe. Seine Einschätzungen hätten Behandlungsoptionen aufgezeigt.

Kritik seitens der Eltern gibt es auch in puncto Tempo: Zu schnell geht ihnen die konkrete Verschreibung durch die behandelnden Ärzte im Anschluss an die psychiatrische Einschätzung. Mit der Diagnose der Transidentität würden auch gleich die weiteren Schritte zur Geschlechtsangleichung eingeleitet, so die Eltern. Das sei heikel, gerade für Minderjährige mitten in der Pubertät. Inzwischen haben sie den Psychiater bei der Genfer Staatsanwaltschaft angezeigt. Laut ihnen hat diese eine Voruntersuchung aufgenommen.

Komplexe Entscheidung braucht viel Zeit

Die Basler Psychotherapeutin und Juristin Jacqueline Frossard versteht die Bedenken der Eltern. Grundsätzlich sei es möglich, dass Jugendliche in ihrem Wunsch, ihr Geschlecht angleichen zu lassen, durch Vorbilder oder von Gleichaltrigen beeinflusst würden. Um herauszufinden, ob es sich wirklich um eine dauerhafte Transidentität handle, sei eine korrekte Abklärung aber durchaus möglich.

Laut der Juristin können minderjährige Jugendliche zudem rechtlich die Entscheidung für eine medizinische Behandlung ohne Einverständnis der Eltern treffen. Ob Minderjährige für diese spezifische Entscheidung als urteilsfähig erachtet würden, müsse der behandelnde Arzt, die behandelnde Ärztin einschätzen. Zum Beispiel Dagmar Pauli.

Die Psychiaterin leitet die Sprechstunde für Geschlechtsidentität und Gendervarianz an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Zürich. Sie betont, wie wichtig es in so einem «komplexen Prozess» sei, sich viel Zeit zu nehmen für eine Entscheidung – und auch die Eltern mit einzubeziehen.

Noch wenige Langzeitstudien

In ihrer Sprechstunde habe ein «grösserer Teil» der begleiteten Kinder und Jugendlichen letztlich medizinische Massnahmen in Anspruch genommen und seien damit zufrieden. Internationale Studien zeigten aber, dass ein bis drei Prozent der Betroffenen bereits durchgeführte Behandlungen später bereuten; die Gefahr einer Fehldiagnose nehme man darum sehr ernst.

Man müsse aber auch die Risiken abwägen, wenn man auf eine Behandlung verzichte. Das Leiden der Betroffenen sei gross. «Da kann es sein, dass es der grössere Nachteil wäre, zuzuwarten», so Pauli. Mit sogenannten Pubertätsblockern lasse sich Zeit gewinnen, bevor mit einer möglichen Hormontherapie begonnen werde. Würden diese Medikamente abgesetzt, nehme die Pubertät ihren natürlichen Verlauf.

Eltern-Verein reagiert

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Die Genfer Eltern sind den Einschätzungen der Fachleute gegenüber kritisch. Die Studienlage zu den Langzeit-Effekten sei zu dünn. Für den Verein AMQG zeigt der Umstand, dass die Mehrheit der in Zürich behandelten Kinder und Jugendlichen den medizinischen Weg wählt, dass «die derzeitige Versorgung kaum oder keine andere Alternative bietet», wie er in einer Stellungnahme festhält. Laut dem Verein würden Pubertätsblocker «bei fast allen Kindern» zu einer Hormontherapie führen, seien also nur theoretisch reversibel. Das Abwägen der Risiken einer Nichtbehandlung führe zu einem grossen Druck auf die Eltern und lasse keinen Raum mehr für kritische Fragen.

Langzeitstudien dazu, wie es Transkinder und -jugendlichen nach der medizinischen Behandlung gehe, gebe es noch wenige, sagt Dagmar Pauli. Es brauche noch mehr Forschung. «Die wenigen Studien, die wir haben, zeigen aber, dass sich die Kinder und Jugendlichen, die früh behandelt wurden, sehr gut entwickeln und es ihnen besser geht als denen, die die Behandlung nicht haben.»

* Namen der Redaktion bekannt

10vor10, 20.07.2021, 21:50 Uhr

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